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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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ihretwegen hier?»
    Jakob antwortete nicht sofort, er schien mit etwas anderem beschäftigt zu sein und grübelte lange nach. «Heißt das, dass sie gar nichts mehr hat?», fragte er anschließend.
    «So würde ich es nicht sehen. Sie hat noch genug. Aber wieso interessiert Sie Elsa so sehr?»
    Jakob steckte das Blatt zurück in die Tasche und schautesich um, als ob er etwas Bestimmtes suchte. Als Neper gar nicht mehr mit einer Antwort rechnete, sagte er: «Weil ich sie heiraten werde. Hast du frische Kleidung und ein Rasiermesser für mich, Bruder?»
    Das war der erste große Auftritt meines Vaters. Er war von den Karpaten herabgestiegen und steilen Wegen und Trampelpfaden, Bächen und Flüssen gefolgt. Er hatte sich bei Bauern und Förstern für ein wenig Maisbrei und Kartoffelsuppe verdingt, war dann weitergezogen, von der Angst, es könnte zu spät sein, verfolgt. Er hatte die Banater Ebene erreicht, die sich von der Sonne gebleicht, staubig und aufgesprungen vor ihm ausgebreitet hatte.
    In Temeschwar hatte er im kleinen Hafen Mehlsäcke auf österreichische Schiffe geladen und bei den Handwerkern auf dem Josefsplatz als Geselle gearbeitet. Er war geschätzt worden, hatte Kraft, Ausdauer und Geschick, aber er konnte sich keinem Meister unterstellen. Es war immer derselbe Gedanke, der ihn fortzog und dazu führte, dass er eines Tages die Stadt in westlicher Richtung verließ. Auf seinem Weg nach Triebswetter hatte er viele Stationen durchlebt, bei keiner war er länger als ein paar Wochen geblieben.
    Der Gedanke, ein anderer könnte dieselbe Idee gehabt haben, könnte früher aufgebrochen, schneller vorwärtsgekommen sein und es weiter gebracht haben als er, ließ ihm keine Ruhe. Bis er dann während des kräftigen Sturms selbst wie ein Naturereignis auftauchte. Doch während Erdbeben, Trockenheit oder Überschwemmung wieder verschwanden, setzte er sich fest. Zuerst bei Neper, dann bei meiner Mutter und später bei allen anderen.
    * * *
    Die erste Hochzeit in Triebswetter wurde nach dem ersten Toten, dem unglückseligen Knecht Manoeuvre, am 27. April 1773 eingeläutet. In der Dorfchronik steht geschrieben, dass sie aus Gründen unerlaubter Kopulation erfolgt sei. Nicht, dass man sich in dieser Gegend der Welt nicht gerne paarte. Die dumpfen, ihrer Lust ausgesetzten Männer drangen häufig und heftig in die Körper ihrer Frauen ein.
    Das war ihr einziges Recht, wenn man bedenkt, dass sie nicht einmal wirklich sich selbst gehörten. Fuhr der Grundherr vorbei, Baron Alvinczy, dann drückten sie, wenn sie Schwaben waren, ihre Filzhüte oder, wenn sie Rumänen waren, ihre Schafsfellmützen an die Brust und verbeugten sich. Stieg der Gutsherr aus, liefen sie hin, um ihm die Hand zu küssen. Es gab zu wenig Hand für so viele Münder.
    Zu Hause aber waren alle Herren. Die animalische Kopulation, wenn sie von Erregung und Verlangen durchflutet waren, war das Einzige, was ihnen ganz allein gehörte und sie entschädigte. Sie und der Schnaps in der Kneipe. Häufig fand der Beischlaf vor Sonnenaufgang statt, nicht, um sich vor Gott zu verstecken, sondern weil sie nur dann nicht müde waren. Betäubt vom Stallgeruch, vom Kot und Urin im Nachttopf, von der abgestandenen Luft, von Mundgeruch und dem Gestank dreckverkrusteter Füße und ungewaschener Körper, zerstochen von Flöhen und Mücken, rutschten sie unter der Strohdecke herüber und fanden schnell den ebenso übel riechenden Körper des anderen.
    Es gab aber auch einen weiteren Grund, weshalb die Triebswetterer sich so fleißig paarten. Sie waren nur zweihundert Familien, die in ihren aus Lehm gestampftenHäusern ausharrten. Wollten sie Bestand haben, wollten sie, dass das unbarmherzige Land sie nicht verschlang und auslöschte, waren sie dazu verdammt, sich zu vermehren. Niemand hatte es offen ausgesprochen, als sie ihre Häuser bezogen, als das erste große Sterben durch die Cholera kam, aber alle hatten es gewusst. Schließlich war das ihr Kolonistenschicksal, deshalb hatte sie die österreichische Kaiserin hierhergeschickt. Nicht, damit sie ausstarben, sondern damit sie Fuß fassten.
    Also schliefen auch Ludwicus Godron und Anna Odromat miteinander, allerdings übereilt. Sie waren beide noch keine sechzehn und kannten sich erst seit wenigen Monaten. Eine Paarung, die nicht mit dem Willen Gottes geschah. Der Feldwächter, der sie fand, blies in sein Horn, als ob er einen Brand, einen Diebstahl oder ein anderes Unglück zu verkünden hätte. In wenigen Augenblicken
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