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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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ihnen arbeiteten. Ihr Vater wäre beinahe gestorben, weil er nicht von seinen Pferden lassen wollte. Das Feuer hatte sich schnell ausgebreitet, fast alles war niedergebrannt, Stallungen, Scheune und Karren, auch Teile vom Haupthaus. Eine Kutsche war noch ganz geblieben und das Gesindehaus.
    Dutzende Male war Neper in den Stall gelaufen, hatte versucht, Tiere loszubinden, Schweine und Geflügel ins Freie getrieben, bis die Stützbalken nachgaben, das Dach einstürzte und jede Menge Vieh unter sich begrub. Er war auch mit den anderen ins Haus gestürmt, und sie hatten hinausgetragen, was sich tragen ließ. Das Wasser wurde aus einem Brunnen geholt, die Marosch war dafür zu weit weg.
    Niclaus und seine Tochter Elsa hatten sich immer wieder in Gefahr gebracht, bis auch sie es irgendwann einfach hatten geschehen lassen müssen. Zuletzt waren sie im Freien neben dem Wohnzimmertisch gesessen, auf dem sich Geschirr, Bettwäsche, Fotoalben und Kleider auftürmten, die Köpfe auf die Hände gestützt. Um sie herum stapelten sich Getreidesäcke, Truhen, Matratzen, Kommoden, Werkzeuge.
    Der Apotheker sperrte sein Haus auf, danach zog er sich müde und schwer aus, setzte sich hin und wusch sich gründlich. Er rieb sich wund, seine Glatze, sein gerötetes Gesicht, seine Arme. Er rieb den Geruch des Verbrannten mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen von seiner Haut.
    Jakob stieß die Tür auf. In der einen Hand hielt er die Jacke fest, während sein Hemd offen über die Hose hing. Er machte einige Schritte auf den nackten, erschrockenen Neper zu und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: «Ich habe Hunger. Ich möchte essen.» Da läuft etwas gründlich schief, dachte Neper. Der Mann, den er noch vor Kurzem hatte erschießen wollen, den er sich dann gut als Stallbursche vorstellen konnte, benahm sich jetzt wie ein Hausherr.
    «Sie sind noch hier?», stammelte er.
    «Ich habe über Nacht dein Vieh bewacht, Bruder. Du solltest es nicht so alleine lassen, wegen der Diebe. Und jetzt will ich essen.» Jakob grinste.
    Neper war ratlos. Ihn packte ein furchtbarer Husten. Hier, wo man sich mit
Bruder
und
Schwester
ansprach, schuldeten die Jungen den Alten unbedingten Respekt. Für das geringste Vergehen zahlte man eine Buße, für schwerwiegendere wurde man noch vor nicht allzu langer Zeit auf dem Strafbock ausgepeitscht. Am Pranger durchs Dorf geführt.
    Um seine Erregung zu verbergen, führte er automatisch den Waschlappen am Körper entlang, aber seine Sinne waren angespannt. Aus dem Augenwinkel sah er den Mann auf sich zukommen, bis er ihn fast berührte. Jetzt war er in der Klemme, weder konnte er zur Seite springen noch aufstehen und sich wehren. Und sein Gewehr lag seit dem Vorabend auf dem Küchentisch.
    Neper starrte auf Jakobs Schuhe, eine Holzsohle, worüber ein Schuster das abgetragene Leder eines noch älteren Schuhwerks gespannt hatte. Dann hob er langsam den Kopf, sah sein Hosenbein, das an vielen Stellen aufgerissen war. Die Hose, die für alles herhalten musste:Feld- und Stallarbeit, Freizeit und Kirchgang, wenn so einer überhaupt in die Kirche ging. Das fleckige Hemd, das einmal weiß gewesen sein musste, die behaarte Brust, das Kinn.
    In wenigen Sekunden hatte Neper Maß an seinem Gegner genommen und mehr über dessen Armut erfahren, als ihm lieb war. Solche Tagelöhner und Landstreicher waren gefährlich, sie hatten wenig zu verlieren, und das wenige setzten sie gerne aufs Spiel. Dafür brauchten sie nicht betrunken zu sein, sondern nur den geringsten Anlass.
    Sie hatten so lange mit dem Vieh gelebt, so lange waren sie gering geschätzt worden und schätzten sich womöglich selbst gering ein, sie lebten so sehr im Wissen, dass ihr Leben eine einzige Wiederholung von Mangel und Entwürdigung war, von Warten auf den mageren Lohn, von gierigem Saufen, Kartenspielen, Hurerei und erneutem Warten, dass sie immer schon mit dem Schlimmsten rechneten. Und deshalb unberechenbar waren.
    Hatten nicht erst vor wenigen Jahren zwei solcher Männer die Schwiegertochter von Peter Bartu erschlagen und waren erst nach einer tagelangen Hetzjagd gefasst worden, bei der sogar die Gendarmerie aushelfen musste? Waren sie nicht zahm und reuig gewesen und hatten vorgegeben, sich an nichts mehr zu erinnern, und alles dem hochprozentigen Rausch zugeschrieben? Und noch früher, war da nicht der Burghüter Josef Reno oder Gogo Joschka, wie sie ihn alle nannten, in einem schlimmen Winter auf Gassenwacht von einem Pferdedieb mit
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