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Damiano

Damiano

Titel: Damiano
Autoren: R. A. MacAcoy
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Eine Saite schlug sirrend gegen seinen Fingernagel, der Finger rutschte ab, der Rhythmus war verloren. Damiano brummte mißmutig etwas vor sich hin.
    »Das Problem liegt nicht in deiner Hand. Es liegt hier«, sagte Damianos Lehrer und legte seine elfenbeinhelle Hand auf die rechte Schulter des jungen Mannes.
    Damiano wandte überrascht den Kopf, so daß seine schwarzen Locken über die blasse Haut seiner Stirn fielen. Er zog sein Wintergewand zurecht, das die Farbe einer in der Wärme angelaufenen Messingmünze hatte und so schwer von seinen Schultern hing wie ein Beutel voller Münzen. Die Farbe seines Gewandes stand Damiano, der eine warme dunkle Haut hatte, gut zu Gesicht.
    »Meine Schulter ist verkrampft?« fragte Damiano, obwohl er die Antwort schon wußte.
    Er seufzte und war bemüht, seinen Arm zu lockern. Seine Finger glitten schlaff über das Eibenholzdach der liuto, die auf seinen rechten Oberschenkel gestützt lag. Der Ärmel seines Gewandes, um einiges länger als sein Arm und in Scharlachrot eingefaßt, fiel über sein Handgelenk. Mit einer geübten, unbewußten Bewegung schlug er den Stoff zurück, so daß der schlanke Arm sichtbar wurde.
    »Schon wieder?« fragte er. »Ich dachte, über diese Verkrampfung wäre ich seit Monaten hinweg.«
    Seine Augen und Wimpern schimmerten so weich und schwarz wie das wollene Trauertuch, das die Frauen in der Stadt nach einem Todesfall zu tragen pflegten, und die Entmutigung machte den Glanz seiner Augen noch dunkler. Er seufzte.
    Raphael faßte den jungen Mann fester bei den Schultern, Lachend schüttelte er ihn sanft und zog ihn an sich.
    »Das warst du auch. Und du wirst sie auch immer wieder überwinden. So oft wie sie auftritt. Solange du das Instrument spielst. Solange du Fleisch trägst.«
    Damiano blickte verwirrt auf. »Solange ich… Nun, dann kann ich vielleicht hundert Jahre gegen diese Schwäche kämpfen. Ist das der Grund, weshalb du nie einen Fehler machst, Seraph? Daß du nicht aus Fleisch und Blut bist?«
    Mit einem breiten Lächeln entschuldigte er sich für die Bemerkung, noch während er sie formulierte. Ohne auf eine Antwort zu warten, senkte er die Augen zur liuto und begann zu spielen, erst die Oberstimme des Tanzes, dann die Baßstimme, schließlich beides zusammen.
    Raphael lauschte. Seine Augen, so blau wie Lapislazuli, blickten ruhig. Seine Hand lag still und ermutigend auf Damianos Schulter. Die mächtigen, glänzenden Flügel schwangen leicht im Takt zur Musik. Sie fingen das graue Tageslicht auf und warfen perlmuttschimmernde Lichter an die Kacheln der Wand zurück.
    Damiano spielte noch einmal, diesmal sicher und bestimmt, kam glatt über die Stelle, wo er den Takt wechseln mußte – zwei sehr schnell mit dem Mittelfinger gezupfte Takte. Als er zum Ende gekommen war, blickte er auf, das Gesicht glühend von der Freude über das Gelingen, die Unterlippe rot, weil er die Zähne in sie gegraben hatte.
    Raphael lächelte. Seine Flügel schwangen vor und legten sich um den Knaben wie ein abgetrenntes kleines Gemach im zugigen Saal.
    »Das hat mir gefallen«, sagte der Engel. »Wie du es gespielt hast – zuerst jede Stimme einzeln für sich, dann beide zusammen.«
    Damiano zuckte die Schultern, schlug beide Ärmel seines Gewandes von den Händen zurück und schob das Haar aus seinem Gesicht. Sein Gesichtsausdruck blieb kühl, während der Engel das Lob sprach, doch er rutschte auf dem Hocker hin und her wie ein Kind.
    »Ach, das war doch nur zum Einspielen. So würde ich das nie vortragen.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist zu einfach. Da ist doch nichts dabei, einfach eine Stimme herunterzuspielen, ohne Triller und Schnörkel.«
    Der Erzengel Raphael nahm Damiano das kleine Holzinstrument aus der Hand. Er trat ein Stück vom Hocker zurück, und seine Schwingen legten sich auf beinahe geschäftsmäßige Weise nach unten. Das Antlitz, das sich über die Saiten neigte, als er das Instrument neu stimmte, war vollkommen, wenn auch beinahe hart in seiner Vollendung, unnahbar, abschreckend. Aber die H-Saite klang zu tief, und seine linke Augenbraue zuckte erschreckt in die Höhe. Damiano unterdrückte ein Lachen. Langsam begann Raphael, die Melodie ›Ce fut en mai‹ zu spielen, ein einfaches Lied, das er Damiano drei Jahre zuvor gelehrt hatte. Er spielte sie mehrmals durch, ohne Triller, ohne Schnörkel, ohne zu kontrapunktieren. Er spielte sie jedoch jedesmal auf andere Weise. Die erste Wiedergabe klang heiter; die zweite traurig. Beim drittenmal
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