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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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miteinander geteilt. Aber sie muß schrecklich wichtig sein, denn der arme Kerl ist vor lauter Anstrengung ganz nervös und reizbar geworden. Manchmal mach ich mir seinetwegen große Sorgen. Aber was ist mit Ihnen, Gaston?« Sie legte ihr Händchen auf meinen Arm. »Es müssen doch allerhand interessante Dinge passiert sein, seit Sie mir auf dem Abfahrt-Bahnsteig von Whortleton dieses Lutschstäbchen kauften. Was übrigens schrecklich nett von Ihnen war.«
    »Nicht der Rede wert. Hoffentlich hat’s Ihnen geschmeckt.«
    »Sie haben wohl eine kolossal bedeutende Praxis in London?«
    »Meine Praxis ist leider noch anspruchsloser als die von Dr. Watson«, sagte ich aus dem Wunsch heraus, jetzt nicht tiefer in diese Materie einzudringen.
    Lucy war verblüfft. »Aber wenn Sie als Arzt an diesem wichtigen Kongreß in New York teilnahmen — «
    »Ich war nicht als Arzt in New York. Bloß als eine Art letztklassiges Kindermädel«, seufzte ich. »Und ich war weniger bei einem ärztlichen Kongreß als beim hitzigsten anglo-amerikanischen Rummel seit der Bostoner Teeparty.«
    »Ach, Gaston, das klingt ja alles schrecklich spannend!«
    »Ich werde Ihnen einmal das Ganze erzählen«, erklärte ich. »Bis ich mich stark genug dafür fühle.«

2

    Meine Spritztour nach New York war eine Art Gratifikation dafür, daß ich als Neger Sir Lancelot Spratts Selbstbiographie verfaßt hatte, die kürzlich unter dem Titel »Fünfzig Jahre Sport und Chirurgie« (meinen Titelvorschlag »Mit Angelrute und Flinte durch den Verdauungskanal« hatte er verworfen) zum Ladenpreis von fünfzig Shilling erschienen und flott unter seinen Verwandten abgesetzt worden war. Aber der alte Knabe fühlte sich recht geschmeichelt, seinen Namen gedruckt zu sehen, und lud mich freundlicherweise ein, das literarische Ereignis bei einem Wochenendbesuch in seinem Landhaus in Wales zu feiern.
    Nach Wales beordert zu werden überraschte mich, denn Sir Lancelot hatte die ganze Zeit, während ich am Buch schrieb, geunkt, er würde sich einen Landsitz nicht leisten können, nun er aus dem Ärztestab von St. Swithin ausgeschieden sei und noch eine Frau und die Regierung zu erhalten habe. Und obgleich Sir Lancelot sehr erpicht darauf war, den Rest seiner Tage bis zur Taille in eiskaltem Wasser zu verbringen und Fische zu überlisten oder schlimme Unfälle unter der Vogelwelt herbeizuführen, zog es Lady Spratt bei weitem vor, die Nahrungsmittel auf althergebrachte Weise telefonisch bei Harrods zu bestellen.
    Eine noch größere Überraschung harrte meiner, als ich an jenem schönen Mainachmittag meinen Bentley, Modell 1930, das Ufer des Usk-Flusses entlang lenkte, der so munter wie eine Schar eben die Schule verlassender Kinder zwischen den Schwarzen Bergen drängelnd dahinhüpfte. Als ich durch Sir Lancelots Gittertor einfuhr, bemerkte ich, daß ein Mann in mittleren Jahren, lediglich in Shorts gekleidet, die lange Auffahrt entlangstürzte, knapp auf den Fersen vom Chirurgen gefolgt, der Tweed-Knickerbockers und Jägerhut trug.
    »Aufhalten, den Mann!« brüllte Sir Lancelot. »Aufhalten, sage ich!«
    Rasch erfassend, daß der Bursche in Shorts beim Klauen des Silberbestecks ertappt worden sein mußte, trat ich auf die Bremse, sprang aus dem Wagen und bekam ihn zu fassen, als er sich eben in die Zierbüsche schlagen wollte.
    »Sie haben also beschlossen, Horsham«, donnerte Sir Lancelot, »sich selbst zu entlassen, was?«
    Der Missetäter, ein klappriger kleiner Kerl, ganz Ohren und Kniescheiben, konnte nur dastehen und nach Luft schnappen.
    »Sie hätten mich höflicherweise davon benachrichtigen sollen. Ich würde die nötigen Vorbereitungen getroffen und Ihnen die Peinlichkeit erspart haben, in der Adjustierung eines mangelhaft bekleideten Pfadfinders Ihren Rückweg nach London per Anhalter anzutreten.«
    »Tut — tut mir leid, Sir Lancelot«, brachte der Flüchtling endlich nach Atem ringend heraus. »Weiß nicht, was über mich gekommen ist. Weiß es wirklich nicht. Haute blindlings ab und lief davon, das ist das Ganze.«
    Sir Lancelot strich sich den Bart. »Ich neige zu dem Verdacht, daß Sie sich bloß um Ihre Nachmittagsbehandlung drücken wollten.«
    »Halten Sie sich bitte vor Augen, mit wem Sie sprechen«, sagte der klapprige Kerl, der sich einen Ruck zu geben trachtete.
    »Soweit es mich betrifft, spreche ich mit einem Blutdruck, der um etliches übernormal, und einem Körperbau, der um etliches unternormal ist, mit einem Muskelsystem, das bei weitem
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