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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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Verwirrung steckengeblieben zu sein; unser liebes altes London nimmt sich daneben wie eine Kleinstadt an einem Regentag mit früher Sperrstunde aus. Und so wirkte, wie ich mir von Anfang an hätte ausmalen können, Sir Lancelot wie ein lieber ältlicher Herr, der während eines Erdbebens Kricket zu spielen versucht.
    »Verzeihung«, entschuldigte sich Dr. Archbold, als im Augenblick, da der Wagen vor unserem Hotel mitten in Manhattan vorfuhr — der Verkehr sieht dort so verklemmt aus, als müßte man nach einem Hebebaum senden, um ihn auseinanderzuklauben — , ein Surren aus seiner Armstütze ertönte. Er hob einen Telefonhörer ab. »Dr. Archbold hier... yeah... schön, kann wohl rechtzeitig drüben sein, wenn ich mein Büro anrufe.«
    »Ich werde Ihr Büro auf der anderen Leitung erreichen, Doktor«, sagte die Sekretärin und hob einen Telefonhörer von ihrer Armstütze ab.
    »Allmächtiger«, murmelte Sir Lancelot.
    Die Medizin ist selbstverständlich jetzt in Amerika vollmechanisiert, wie so ziemlich alles dort, ausgenommen Sex, und manche Leute geben ihm in nächster Zukunft doch noch den Vorrang vor I. B. M.
    »Zu schlimm«, entschuldigte sich Dr. Archbold. »Werde euch Jungens wohl mächtig ungastlich Vorkommen, wenn ich euch allein im Hotel zurücklasse. Muß gleich wieder weg und einen Bankier in Boston untersuchen. Werde den Privathelikopter nehmen«, fügte er, an seine Sekretärin gewendet, hinzu.
    »Allmächtiger«, murmelte Sir Lancelot.
    Dr. Archbold stieg wieder in den Cadillac mit Klimaanlage zurück. Sir Lancelot und ich hingegen traten in den Expreß-Aufzug, der sechsundneunzig Stockwerke hinaufschoß, als gälte es, die Venus zu erreichen, und sich wie ein Schmetterling auf einem Rosenblatt zur Ruhe setzte.
    »Ich nehme morgens um halb acht eine Tasse chinesischen Tee und ein Stück Zwieback«, setzte der Chirurg einem betreßten Jüngling auseinander, der unser Gepäck brachte.
    »Glaube, das Gesetz hat nichts dagegen, Opa«, erwiderte der Hotelpage munter. »Was mich betrifft, ich steh um siebene auf und eß ein Brötchen.«
    »Das Dienstpersonal ist hier recht kameradschaftlich, Sir«, erklärte ich hastig, als Sir Lancelots Gesichtsfarbe zu den Farben am unteren Ende des Spektrums wechselte. »Das entspricht der großen Tradition der amerikanischen Gleichheit. Überdies verdienen die meisten ungefähr soviel wie ein Spezialist der Harley Street.«
    »Allmächtiger«, murmelte Sir Lancelot, dann wetterte er weiter, weil der Fernsehapparat in seinem Zimmer größer als das Bett war, und ich dankte dem Himmel, als ich den alten Knaben endlich verlassen und mein eigenes Appartement am anderen Ende des Korridors aufsuchen konnte. Doch kaum hatte ich meine Zahnbürste ausgepackt, klingelte bereits das Haustelefon; es war Sir Lancelot.
    »Grimsdyke, ich will keineswegs unnötigen Alarm verursachen, noch ist es mein Wunsch, eine Panik unter den Gästen hervorzurufen, aber wir sollten einige elementare Vorsichtsmaßregeln ergreifen: das Hotel brennt.«
    »Es brennt, Sir?«
    »Ich denke, ich hätte mich hinlänglich klar ausgedrückt —«
    »Gewiß, Sir.« Ich warf einen nervösen Blick auf die Straße. »Doch wo sind eigentlich Rauch und Flammen und die anderen Begleiterscheinungen zu sehen, Sir?«
    »Der Brandherd dürfte ohne Zweifel noch nicht entdeckt sein. Aber die Hitze, die das Feuer ausstrahlt, hat bereits die Grenze des Erträglichen überschritten.«
    »Ich glaube, es wird am besten sein, ich komme zu Ihnen hinüber«, schlug ich rasch vor.
    Sir Lancelot hatte die Klimaanlage auf die maximale Winterhitze angeschaltet, als er versuchte, dem Ding die Radionachrichten zu entlocken. Ich brachte die Knöpfe wieder in Ordnung, aber entweder hatte auch ich sie verwechselt, oder Sir Lancelot hatte nicht der Versuchung widerstehen können, selbst ein wenig an ihnen herumzufummeln: als er mich zehn Minuten später abermals zu sich berief, war das Zimmer so kalt, daß sich an den Rändern seines Bartes Eiszapfen zu bilden begannen.
    »Grimsdyke, ich könnte jetzt einen Drink vertragen«, erklärte er, sich auf die Hände blasend.
    »Genau das Richtige, um die Körpertemperatur wieder auf gleich zu bringen, Sir«, bekräftigte ich.
    Nicht einmal der Drink vermochte ihn aufzuheitern. New York mag ja der lebendigste Ort der Welt sein, doch alle seine Bars sind düstere, schuldbewußte kleine Löcher, mit ausgedienten Gefängniswärtern des Alcatraz bemannt. Wahrscheinlich kommt das daher, daß es den
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