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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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New Yorkern nie gelungen ist, die Prohibition ganz aus dem Blut zu bekommen. Für den Mann von der Madison Avenue gibt’s keine gemütliche Maß Bier mit einem Spielchen und einem Plausch über die Ernteaussichten. Er schleicht herein, schüttet einen hinter die Binde, und schleicht wieder hinaus — er betrachtet das Trinken als eine jener notwendigen, aber eher widerwärtigen regelmäßigen Betätigungen wie etwa das Herausschneiden eines Hühnerauges.
    »Scotch Whisky sollte nie eine niedrigere Temperatur haben als schottischer Branntwein«, knurrte der Chirurg, als der Alcatraz-Kerl den Knopf einer Maschine drückte, die daraufhin wie eine brave Henne Eiswürfel zu legen begann.
    Selbstverständlich hat keinem New Yorker je in seinem Leben ein Drink richtig geschmeckt, denn sämtliche Erfrischungen werden so kalt serviert, daß sie unverzüglich die Geschmackspapillen lähmen; die Dry Martinis haben die Temperatur von flüssigem Sauerstoff. Weiters beklagte sich Sir Lancelot über die leise Musik, die überall gespielt wird, selbst in der Herrentoilette, und schließlich erkundigte er sich, wer denn dieser Mr. Rheingold sei, dessen Tochter so populär war.
    Ich brachte es zustande, den alten Knaben durch das Dinner in einem Restaurant zu schleusen, dessen Speisekarte das Format einer Zeitung hatte. Dort servierte man Bratkartoffeln in der Größe von Kopfkissen und Steaks, die man nur hätte aufessen kön-nen, wenn man knapp vorher vierzehn Tage in offenem Boot dahingetrieben wäre.
    »Allmächtiger«, murmelte Sir Lancelot, als der Kellner fragte, ob er nicht das Mahl mit einer Haustorte beschließen wolle, nach dem Rezept seiner Mutter.
    Bevor er sich noch über die Rechnung und den Kaffee beschwert hatte, begann ich zu verstehen, daß sich Sir Lancelot ebenso mühsam durch das vielfältige New Yorker Leben steuern lassen würde wie ein Ford-T-Modell durch den Verkehr des Broadway.

4

    Zeitig am nächsten Morgen ging ich Sir Lancelot zur Konferenz abholen; ich fand ihn in Hosenträgern und gereizter Stimmung.
    »Guten Morgen, Sir«, begrüßte ich den alten Knaben aufgeräumt. »Laut den Fernsehnachrichten wird’s, durch freundliche Vermittlung von Schaum-Schaum-Seife, ein strahlender Tag werden.«
    Er knurrte.
    »Hoffentlich haben Sie auf Ihrer Pompadour-Faulenzer-Couch angenehm geschlafen, Sir?«
    »Archbold«, brummte der Chirurg, »der die Nacht damit verbracht hatte, sich per Flugzeug zur Visite eines Fleischkonservenerzeugers nach Chikago zu begeben, bestand darauf, die einzelnen Punkte der Konferenz bei einem >Arbeitsfrühstück< — wie er es nannte — zu besprechen. Meiner Ansicht nach ist es ein Unding, irgend etwas bei einem Frühstück zu besprechen. Das Frühstück ist keine Mahlzeit. Es ist einer jener intimen morgendlichen Riten, die nötig sind, um einen für die Tagesarbeit auszurüsten.«
    Da ich selbst zu jenen Leuten gehöre, die eine kleine Ankurbelung am Morgen brauchen, sprach er mir aus dem Herzen.
    »Leider kommen sich unsere amerikanischen Brüder frustriert vor, weil es ihnen bisher nicht gelungen ist, einen Fünfundzwanzigstundentag zu erfinden, Sir«, bemerkte ich. »Hoffentlich war das Frühstück anständig?«
    »Ich bestellte laut Speisekarte >Sonnenwarme gemahlene vitaminangereicherte Weizenähren aus Oklahoma<, und ein >Dampfheißes farmfrisches Geschenk einer frohen Henne<. Serviert bekam ich einen Teller Getreideflocken und ein weiches Ei.«
    Ein Blick auf sein Tablett überzeugte mich, daß die Hoteldirektion versucht hatte, ein übriges zu tun, indem sie eine bunte Papiermütze mit der Aufschrift »Guten Morgen, Leutchen!« hinzugefügt hatte, sowie ein Päckchen Abreißzünder, auf dessen Deckblatt ein an Hypertrophie der Brustdrüsen leidendes Mädchen dargestellt war, ein Blatt schwarzgerändertes Papier mit dem Titelkopf »Ihre zweiundsechzigste Gardinenpredigt für heute« und eine mit Schleifen aufgeputzte Plastikschachtel, die eine rosa Nelke als Knopflochschmuck enthielt.
    »Kein Gentleman«, beschloß Sir Lancelot traurig seine Ausführungen, »würde es selbstverständlich je in Erwägung ziehen, etwas anderes als eine rote Nelke ins Knopfloch zu stecken.«
    Wir glitten im Expreßlift zur Straße hinab, und dort war’s entsprechend gemütlich, denn in Amerika, wo alles, was geschieht, ordentlich geschieht, gibt’s nicht nur eine richtige Hitze, sondern auch die richtige Feuchtigkeit dazu. Wir nahmen ein Taxi, der Chauffeur setzte uns über die internationale
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