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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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zwanzigsten Jahrhunderts nennen.«
    Wir glitten in eine der Wolken hinein, und da nichts so uninteressant ist wie eine Wolke von innen, wandte sie sich wieder mir zu und bemerkte, gegen New York sei nichts zu sagen, aber es wäre nett, wieder nach London heimzukommen, und ich stimmte ihr zu: ja, es wäre nett, wieder nach London heimzukommen. Dann erzählte sie, daß sie bei Verwandten in Poughkeepsie zu Besuch gewesen war, und ich lachte und sagte, ich hätte diesen Namen immer schon unmöglich gefunden, und sie lachte ebenfalls und sagte, es seien ja ja auch unmögliche Verwandte. Wir erfreuten uns einer richtigen Vertrautheit mit Düsenantrieb, die sich noch steigerte, als die Hostess meinem Druck auf den kleinen Plastikknopf mit einem vierten Martini Folge leistete, und dies mit der Miene einer Pastortochter, die den Tee herumreicht — aber die Hostessen der British Airlines können eben nicht anders.
    Plötzlich überkam mich ein ganz eigenes Gefühl: Ich war meiner reizenden Reisegefährtin schon irgendwann einmal begegnet.
    Ich faßte sie verstohlen näher ins Auge, als der Pilot — offenbar genußvoll Pfefferminzbonbons lutschend — sich in der Sprechanlage vernehmlich machte; er wünschte uns einen guten Abend, versicherte uns, daß er sein Ziel kenne, und erwähnte, daß es in London schütte. Sie war ein dunkles Mädchen in einem dunklen Kleidchen, da und dort blitzte ein Diamant auf, und ihr Duft ließ darauf schließen, daß ihr Parfum eine hübsche Stange Geld gekostet haben mußte. Schon war ich knapp daran, die Scharniere meines Gedächtnisses durch die Bemerkung zu schmieren, wir wären einander sicher bereits begegnet, kam dann aber rasch davon ab. Das Mädel konnte gut und gern ein berühmter Filmstar sein, der inkognito reiste. Sie konnte aber auch eines jener Photomodelle sein, die man auf den Rolltreppen in der Untergrundbahn recht eingehend studieren kann. Und — so überlegte ich vorsichtig, aber seufzend — diese unvollko m mene Welt wimmelt von Mädchen, Buchmachern, Paukern und Bankdirektoren, denen man kein zweitesmal begegnen will.
    »Waren Sie zum Vergnügen oder geschäftlich in den Staaten drüben?« fragte mich das Mädchen, nachdem der Pilot abgeschaltet hatte.
    Ich wirbelte den Stiel meines Martiniglases herum.
    »Ich nahm an einem ziemlich wichtigen ärztlichen Kongreß in New York teil.«
    »Oh, wirklich?« Und mit Augenaufschlag: »Dann sind Sie also Arzt?«
    Ich nickte kurz und eindrucksvoll.
    Sie seufzte: »Sie müssen ein absolut faszinierendes Leben führen.«
    »Nun ja, es hat seine großen Momente.«
    »Worin sind Sie spezialisiert?«
    »Spezialisiert?«
    »Ich meine, Sie müssen doch ein schrecklich bedeutender Spezialist sein, wenn Sie sogar nach New York reisen, um sich an Konferenzen zu beteiligten.«
    »Leider starte ich selbst nicht im großen Spezialistenrennen«, gestand ich. »Ich hab nur einen recht bedeutenden ärztlichen Bonzen begleitet. Einen Londoner Chirurgen namens Sir Lancelot Spratt.«
    »Oh, von dem hab ich schon gehört«, sagte das Mädel prompt. »Steht nicht fortwährend in den Zeitungen zu lesen, daß er Herzöge, Kabinettminister und Filmstars behandelt?«
    »Das ist er«, bestätigte ich.
    Schon oft hatte ich den Verdacht gehabt, daß Sir Lancelot nach einer Visite in besonders ausgezeichneten Häusern so lange an seinem Wagen herumwerkte, den er scheinbar nicht starten konnte, bis ihn jemand photographiert hatte.
    »Ja, er wollte einmal Vater operieren. Hat ihm deswegen geradezu ein Loch in den Bauch geredet.«
    Schon oft hatte ich den Verdacht gehabt, daß Sir Lancelot so tat, als sei eine richtig durchgreifende Operation eine wahre Wohltat.
    »Aber Vati wollte es nicht zulassen. Ich erinnere mich, es gab eine regelrechte Szene.«
    Wir saßen einen Augenblick lang schweigend da, dem Getöse der Düsen lauschend, während mein Gedächtnis heftigst vom Unterbewußtsein geboxt wurde. Ich überlegte, ob das Mädchen eine meiner Patientinnen sein konnte. Aber sie sah mir nicht nach einer aus, die ich so leicht vergessen haben könnte, vor allem wenn ihr etwas unterhalb der Schlüsselbeine gefehlt hätte. Vielleicht hatte ich ihr einst bei einer Party die Brötchen gereicht. Vielleicht hatte ich ihr einst den Weg zum Marble Arch gewiesen. Oder vielleicht, so sann ich, während mich die Olive in meinem Martini streng beäugte, war ich bereits in jenes Stadium getreten, in dem sämtliche Mädchen einander zu gleichen beginnen.
    In diesem Augenblick
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