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Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel
Autoren: Georges Simenon
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Inhalt
    1 Der Schatten am Fenster     
    2 Ein feiner Kerl     
    3 Das Pärchen vom Pigalle     
    4 Das Fenster im zweiten Stock     
    5 Die Verrückte     
    6 Der Krankenpfleger     
    7 Die drei Frauen     
    8 Vierzig Fieber     
    9 Der Mann mit dem Pensionsanspruch     
    10 Die Ausweise     
    11 Die Zeichnung an der Wand     
    1
    Der Schatten am Fenster
    E
    s war zehn Uhr abends. Die Gittertore der Grünanlage waren geschlossen, und die Place des Vosges war menschenleer. Nur die Autos zeichneten ihre glänzenden Spuren auf den Asphalt, die Springbrunnen rauschten, umsäumt von kahlen Bäumen, und die Umrisse der Dächer hoben sich monoton und gleichförmig gegen den Himmel ab.
    Unter den Arkaden, die den Platz wie ein gewaltiger Ring umschließen, brannten nur wenige Lichter. Kaum drei oder vier Läden. In einem der Läden, inmitten von Trauerkränzen aus Perlen, sah Kommissar Maigret eine Familie beim Abendessen sitzen.
    Er versuchte, die Hausnummern über den Türen zu entziffern, aber kaum war er an dem Laden mit den Trauerkränzen vorbeigegangen, als eine unscheinbare Person aus dem Dunkel auf ihn zutrat.
    »Sind Sie es, mit dem ich eben telefoniert habe?«
    Sie mußte schon eine Weile dort auf ihn gewartet haben. Trotz der Novemberkälte trug sie keinen Mantel über ihrer Schürze. Ihre Nase war rot, ihre Augen unruhig.
    Keine hundert Meter weiter, an der Ecke der Rue de Béarn, stand ein Polizist in Uniform auf seinem Posten.
    »Haben Sie ihn nicht verständigt?« raunzte Maigret.
    »Nein! Wegen Madame de Saint-Marc, die in den Wehen liegt … Sehen Sie! Da ist schon der Wagen des Arztes, den man dringend herbeigerufen hat …«
    Am Bordstein parkten drei Wagen mit eingeschalteten Scheinwerfern und Rücklichtern. Wolken wanderten über den in fahles Mondlicht getauchten Himmel. Der erste Schnee lag in der Luft.
    Die Concierge ging voraus unter den Torbogen des Gebäudes, den nur eine verstaubte 25-Watt-Birne beleuchtete.
    »Ich will es Ihnen erklären … Dies hier ist der Innenhof, den man überqueren muß, wenn man in irgendeinen Teil des Hauses gelangen will, von den beiden Läden einmal abgesehen … Hier links ist meine Portiersloge … Sehen Sie nicht hin, ich hatte noch keine Zeit, die Kinder ins Bett zu bringen …«
    Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, hockten in der unaufgeräumten Küche. Aber die Concierge ging nicht hinein. Sie zeigte auf ein langes Gebäude auf der anderen Seite des Hofes, mit mächtigen, aber harmonischen Proportionen.
    »Dort ist es … Sie werden gleich sehen …«
    Maigret betrachtete neugierig diese merkwürdige kleine Frau, deren fahrige Hände wie die einer Fiebernden wirkten.
    »Da will jemand einen Kommissar sprechen!« hatte man ihm vor wenigen Minuten am Quai des Orfèvres gesagt.
    Er hatte eine gedämpfte Stimme gehört und drei- oder viermal wiederholt: »So sprechen Sie doch lauter! Ich kann Sie nicht verstehen!«
    »Das geht nicht … Ich rufe vom Tabakladen aus an. Es handelt sich …«
    Eine verworrene, unzusammenhängende Mitteilung.
    »Sie müssen sofort zur Place des Vosges 61 kommen … Ja … Ich glaube, es ist ein Verbrechen geschehen … Aber das darf noch nicht bekanntwerden! …«
    Und nun zeigte die Concierge auf die hohen Fenster im ersten Stock. Hinter den Vorhängen sah man Schatten kommen und gehen.
    »Dort ist es …«
    »Das Verbrechen?«
    »Nein, Madame de Saint-Marc, die ein Kind bekommt, ihr erstes … Sie ist sehr zart gebaut, verstehen Sie?«
    Der Hof war noch dunkler als die Place des Vosges. Er wurde von einer einzigen Lampe an der Hauswand erleuchtet. Hinter einer Glastür konnte man eine Treppe ahnen, und hier und da sah man Licht in den Fenstern.
    »Und was ist mit dem Verbrechen?«
    »Eben! Um sechs Uhr sind die Angestellten bei Couchet gegangen …«
    »Einen Augenblick! Was ist ›bei Couchet‹?«
    »Das Gebäude dort hinten … Ein Laboratorium, in dem Serum hergestellt wird. Sie haben bestimmt schon davon gehört: Dr. Rivières Seren …«
    »Das helle Fenster dort?«
    »Warten Sie … Wir haben heute den Dreißigsten, also ist Monsieur Couchet hiergewesen. Er bleibt immer nach Büroschluß noch allein da. Ich habe ihn hinter dem Fenster in seinem Sessel sitzen sehen … Sehen Sie selbst …«
    Ein Fenster mit Scheiben aus Mattglas. Ein merkwürdiger Schatten, wie der eines Mannes, der vornüber auf seinen Schreibtisch gesackt ist.
    »Ist er das?«
    »Ja. Gegen acht Uhr,
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