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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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fort, »wenn Sie sich bereit erklärten, mich als Assistent nach New York zu begleiten.«
    Ich starrte ihn an. »Wer, Sir? Ich — ich?«
    »Es gibt bei derlei Gelegenheiten stets eine Menge lästiger Papierarbeit, und Ihre geschickte Feder könnte sich da nützlich erweisen.«
    »Aber ich hab nicht den leisesten Dunst von der Gesundheitspflege der Wirtschaftskapitäne«, machte ich geltend.
    »Mein lieber Junge, da braucht es nicht mehr, als ihnen zu sagen, sie sollen das Mittagessen streichen und zu Fuß zum Bahnhof gehen. Wenn sie wollen, daß wir dreitausend Meilen reisen, um das zu tun, ist das völlig ihre Sache. Ihre Auslagen werden selbstverständlich bezahlt. Erster Klasse.«
    Klar, daß ich auf der Stelle annahm. Wir Grimsdykes sind jederzeit für eine Gratisfahrt zu haben, und wenn’s auch nur auf der Woolwich-Fähre wäre.
    »Ausgezeichnet. Überdies ist mir an Gesellschaft gelegen — war noch nie in New York.« Sir Lancelot verweilte noch etwas an der Eingangstüre. »Genau genommen, war ich bisher überhaupt noch nie außer Landes.«
    Eine weitere Überraschung. Sir Lancelot war der Typ des Mannes, der den Eindruck erweckt, schon überall gewesen zu sein, ausgenommen vielleicht den Gipfel des Everest.
    »Allerdings«, korrigierte er sich, »hab ich als junger Spitalsarzt einmal einen Tagesausflug nach Boulogne unternommen. Aber irgend etwas, das ich aß, bekam mir so schlecht, daß ich seither jede Lust verloren habe, unsere Gestade zu verlassen. Wir starten Montag in vierzehn Tagen, auf drei Wochen. Nun muß ich aber meine Nachmittagsrunde durch die Schlafzimmer machen. Möchte wetten, daß dieser elende Wicht von einem Quellsby irgendwo eine Tafel Milchschokolade versteckt hat.«

3

    Ich hätte es mir von Anfang an sagen sollen, daß ein Ausflug mit Sir Lancelot nach New York in einem schauerlichen Debakel enden mußte. Wenn man es bedachte, müßte auch ein Ausflug mit Sir Lancelot ins Elysium in einem schauerlichen Debakel enden.
    Bevor wir noch den Londoner Flughafen verließen, hatte er Hut und Paß verloren, er erzeugte im Flugzeug einen Aufruhr, weil er kein Glas heiße Milch und keinen Diätzwieback bekommen konnte, dann schluckte er eine Handvoll Barbiturate und schnarchte mir während des ganzen Flugs ins Ohr. Zwei Stewardessen mußten ihn mittels des Eiskübels aufwecken, als wir im Idlewild-Flughafen von New York landeten; es wurde gerade dunkel, und Manhattan legte seine abendlichen Diamanten an. Dr. Archbold persönlich erwartete uns; er entpuppte sich als ein liebenswürdiges und ruhiges Männchen mit randloser Brille und sah genauso aus wie auf dem Umschlag von Time — die amerikanischen Herzspezialisten erfreuen sich selbstverständlich derselben Popularität wie Filmstars und Spitzen-Baseballspieler.
    »Sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie diesen weiten Weg zurückgelegt haben, um mich zu empfangen, Archbold«, begann Sir Lancelot, noch immer gähnend.
    »Mensch, ist doch nicht der Rede wert.« Er geleitete uns zu seinem Cadillac mit Klimaanlage. »Bin bloß mit meinem privaten Düsenflugzeug von der Untersuchung eines Ölbonzen in Texas hergeflogen.«
    Im Wagen befand sich Dr. Archbolds Sekretärin; sie hatte blaues Haar und sah aus, als wäre sie eben aus Cellophan ausgewickelt worden. Der farbige Chauffeur begann nach New York hineinzufahren, und ich lehnte mich zurück, während Dr. Archbold in zuvorkommender Weise unterwegs auf die Sehenswürdigkeiten hinwies.
    Es ist etwas ganz Eigenes um New York. Selbst wenn einer kaum aus seinem Heimatort herausgekommen ist, unterliegt er, in dieser Stadt angelangt, einem Gefühl, das die Neurologen das Déjà-vu- Phänomen nennen — dem Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Man fühlt sich unter den anscheinend endlosen Türmen und den anscheinend endlosen Avenuen regelrecht heimisch, den Reklametafeln am Times Square, die die Vorübergehenden mit richtigen Rauchringen und richtigen Wasserfällen überschütten, den Autos in der Größe von Billardtischen und den Sirenen der Polizei, die wie Gespenster wimmern, welche an fürchterlichem Juckreiz leiden. Es ist genauso wie in den Filmen. Von den Hot Dogs und dem Coca-Cola ganz zu schweigen, und den Drugstores, die den ganzen Tag und die ganze Nacht geöffnet sind und alles verkaufen — Büstenhalter genausogut wie Frühstückskaffee.
    Und noch etwas ist eigenartig an New York. Es ist natürlich eine grandiose Stadt, aber es scheint irgendwann einmal in einem Stadium der
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