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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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Lage ins Bild, und wir trafen zur Konferenz im Freiheitssaal des Washington-Herxheimer-Hotels ein.
    Schon zu Beginn der Prozedur überlief mich ein Frösteln, das nichts mit der Klimaanlage zu tun hatte.
    Ich habe nicht das geringste gegen medizinische Kongresse einzuwenden, solange sie richtig aufgezogen sind. Bei einem Ärztetreffen in London wird natürlich stets eine größere Räumlichkeit zur Verfügung gestellt, wo die wenigen Unentwegten einander lauschen, wenn die verkehrt eingelegten zersprungenen Dias des langen und breiten erörtert werden. Die übrigen Ärzte nehmen die Chance wahr, abzuhauen und Golf zu spielen oder mit ihren Kollegen außer Sichtweite ihrer Patienten einen heben zu gehen.
    Aber wenn amerikanische Ärzte eine Konferenz abhalten, dann ist’s ihnen damit heiliger Ernst. Ich zeigte mich bei jedem Treffen, schlug mich jedoch sachte in die Büsche, sobald Archbold mit seiner präsidialen Ansprache das Startzeichen gegeben hatte; auf diese Weise konnte ich drei vergnügte Wochen verbringen und mir die Sehenswürdigkeiten New Yorks ansehen, wie etwa Jack Dempseys Bar und die verschiedenen Varietés. Doch diese Enthusiasten hämmerten von acht Uhr früh bis sechs Uhr abends an die Pforte der Wissenschaft, und legten nur mittags eine einstündige Pause ein, um Waffle-Burgers und Coca-Cola zu sich zu nehmen. Ein jeder, der die Rednerbühne mit einer Aktenmappe betrat, die dünner war als das Manhattan-Telefonbuch, galt als Verräter an der großen Tradition amerikanischer Redekunst.
    »Besten Dank, Grimsdyke, daß Sie mir einen Fußtritt gegeben haben, als ich zu schnarchen begann«, sagte Sir Lancelot, als wir am Ende des ersten Tages entlassen wurden.
    »Nicht der Rede wert, Sir. Freue mich stets, einen internationalen Zwischenfall vermeiden zu können.«
    »War leider Gottes Jahre hindurch in einem traurigen Irrtum befangen«, seufzte er, »wenn ich im St. Swithin lehrte, jeder Mensch könne seine gesamten Kenntnisse in irgendeinem wissenschaftlichen Fach auf einer Postkarte ausdrücken. Wie jedoch ein Wirtschaftskapitän oder sonstwer sich in dieser Stadt je völlig wohlauf fühlen kann, übersteigt mein Fassungsvermögen . «
    Er deutete mit seinem Schirm auf ein Plakat beim Eingang zur Untergrundbahn, das kundtat, daß wir in die Nationale Nierenstein-Woche eingetreten seien, während nach anderen Plakaten zu urteilen die Bürger New Yorks eben die Nationale Lähmungs-Woche hinter sich gebracht hatten und nach dem Sonntag einer munteren Schizophrenie-Woche entgegenblicken konnten.
    »Unsere amerikanischen Brüder sind durch die klinischen Beiträge in Reader’s Digest ständig auf dem laufenden und betrachten das Magazin Time als den größten Heilkünstler, Sir«, bemerkte ich. »Die würden nie einen Groschen für unsere lieben alten britischen Wohlfahrtsorganisationen blechen, mit ihren Aufrufen >Legt einen Penny für den notleidenden Landadel beiseite< oder >Unser Dach hat ein Loch<.«
    »Bestimmt haben sie ein Auge für klinische Details. Selbst in der Sterberubrik der Zeitungen. Die New York Times erinnerte mich heute früh stellenweise geradezu an den >Leitfaden für Pathologen<.«
    Ich nickte. »Vor allem deshalb, weil die Bestattungsunternehmen ihre verlockenden Inserate einstreuen, in denen sie den Leser einladen, sich bei ihnen für das Jenseits bestens zurechtmachen zu lassen. Könnte mir denken, daß einem Wirtschaftskapitän beim Frühstück ziemlich anders zumute wird, vor allem an einem heißen Morgen und wenn er einen Kater hat.«
    »Eigenartig«, meinte Sir Lancelot versonnen, während er ein Taxi heranwinkte, »daß hier jeder Mensch den Tod so tierisch ernst nimmt.«
    Aber unsere amerikanischen Brüder verbringen ihre Tage nicht nur damit, sich auf ihr todschickes Begräbnis zu freuen, ebensowenig wie wir die unsern damit verbringen — wie sie es so gerne wahrhaben wollen —, zwischen einem Grotesktanz und ein bißchen Ahnenforschung in schmucken Hemden an den Türen unserer strohgedeckten Landhäuschen zu stehen und unseren Kirchenvorstehern schönzutun. Die Wolken der Redekunst wurden ständig von den Blitzen nächtlicher Gastlichkeit erhellt, und nach einer Woche begann selbst Sir Lancelot der Neuen Welt Konzessionen zu machen, indem er Scotch-on-the-Rocks trank und Archbold mit dessen Rufnamen anredete. Allerdings lehnte er es noch immer ab, wie Dr. Kildare in weißem Kittel und Hose Archbolds Privatklinik zu besuchen — er wollte, wie er sagte, nicht wie ein
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