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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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in der Hecke zum Rasen. Ein dutzend Männer in mittleren Jahren trabten, mit Turnhosen angetan, in scharfem Tempo hin und her, während ihnen ein rotgesichtiger Kerl in Buschhemd Kommandos zubrüllte; er sah wie ein internationaler Vorderstürmer aus, der eben im Nahkampf gefoult worden war.
    »Meine Patienten«, erklärte Sir Lancelot voll Stolz, »setzen sich aus drei Börsenmaklern, zwei geadelten Bierbrauern und etlichen Unternehmern zusammen, die eine Neurose bekamen, weil sie sich im Unternehmen übernahmen. Sehen Sie den kleinen Kerl, der sich dort abstrampelt? Das ist ein Einkommensteuerkommissar. Ich glaube, der wird fürchterlich gehunzt.«
    Der Chirurg machte eine Pause, während die Patienten paarweise Kniebeugen machten.
    »Betrachten Sie diesen Kahlkopf, dessen Schultern wie ein Geleebeutel aussehen. Das ist Arnold Quellsby, der Theaterrezensent der Sonntagsblätter.
    Chronische Dyspepsie und Melancholie. Wäre eigentlich verpflichtet gewesen, ihn aus der Klinik zu weisen, als ich ihn dabei ertappte, wie er in seinem Zimmer ein Obsttörtchen verschlang. Das wurde in einem Paket Socken eingeschmuggelt, von irgendeiner Schauspielerin, die zweifellos damit um seine Gunst buhlen wollte. Bin dann jedoch davon abgekommen. Der arme Kerl ist noch nicht stark genug, es mit unserem zeitgenössischen Drama aufzunehmen. Rauft sich manchmal fürchterlich mit diesem Fernsehimpresario neben ihm.«
    Ich bemerkte einen kleinen fetten Kerl, der einer frisch gefangenen Meerbarbe glich.
    »Ich riet den beiden, sich beim Feldwebel die Boxhandschuhe auszuborgen und ihren Hader nach dem Tee im Turnsaal auszutragen. Würde ihnen mächtig gut tun. Die moralische Behandlung ist hier genauso wichtig wie die physische, glaube ich.«
    Etwas gab mir noch zu denken.
    »Wie in aller Welt bringen Sie es zustande, daß die Patienten hierbleiben?« fragte ich.
    Sir Lancelot lachte. »Mein lieber Junge, ich berechne ihnen einfach hundert Guineas pro Woche. Sie wären überrascht zu erfahren, was die Menschen alles auf sich nehmen, wenn sie dafür gepfeffert zu zahlen haben. Ich bin natürlich so vorsichtig«, fuhr der Chirurg fort, »ihre sämtlichen Kleidungsstücke zu konfiszieren und zu verstecken. Unsere Hausordnung ist ganz einfach«, fuhr der Chirurg fort, während wir auf das Haus zuschritten. »Aufstehen um sechs, Schlafengehen um neun, Hungerdiät, kalte Bäder und abends Vorlesung aus den Klassikern.
    Die Wandlung, die Sie an einem Generaldirektor binnen vierzehn Tagen feststellen können, ist bemerkenswert.«
    Meine schaudernde Vorstellung, daß diese Regeln am Ende auch auf die Gäste des Hauses übertragen würden, entging offenbar Sir Lancelot nicht.
    »Meine Gäste können selbstverständlich ihren Entenbraten mit Bordeaux genießen«, versicherte er mir, »während meine Patienten nebenan ihren Dickens mit Kakao kriegen. Bilde mir ein, selbst Ihr Cousin Miles war von meinem Unternehmen beeindruckt, als er vergangenes Wochenende seiner chirurgischen Tretmühle entwich, um hier ein bißchen zu angeln. Bekommen Sie ihn derzeit viel zu Gesicht?«
    »Unsere Tretmühlen liegen ziemlich weit auseinander, Sir.«
    »Hm. Ich glaube, Miles war es, der Dr. Lee Archbolds Aufmerksamkeit auf meine Arbeit lenkte, als dieser kürzlich St. Swithin einen Besuch abstattete. Sie kennen doch Archbold?«
    »Meinen Sie den amerikanischen Kardiologen, den man im Magazin Life ständig Flugzeuge besteigen oder verlassen sieht?«
    Sir Lancelot nickte. »In den Vereinigten Staaten macht man ein noch größeres Getue mit der Gesundheit von Wirtschaftskapitänen; amerikanische Geschäftsleute erfreuen sich einer weitverbreiteten Bewunderung und Sympathie, wie sie hier in England nur den Hunden entgegengebracht werden. Archbold hat mich zuvorkommenderweise nach New York eingeladen, damit ich als britischer Delegierter an der demnächst stattfindenden Konferenz der Wall-Street-Gesundheitsbewegung teilnehme. Die Einladung kommt mir sehr gelegen, da ich Lust habe, die Klinik für kurze Zeit zu schließen. Außerdem«, erklärte Sir Lancelot nach einer Pause, »kehrt meine Frau von einem Aufenthalt in Majorca zurück, und es wäre angezeigt, sie ihr nicht in vollem Betrieb vorzuführen. Glaube, ich habe es übersehen, die Existenz der Klinik vor ihr zu erwähnen.«
    Er schaltete eine Pause ein, als die Pfleglinge im Gefolge des Feldwebels auf einem kräftigenden Zwei-Meilen-Lauf an uns vorbeitrabten.
    »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Grimsdyke«, fuhr er
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