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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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tauchte die Pastortochter neuerlich auf, diesmal mit dem Dinner. Eine Konversation kommt natürlich nicht in Frage, wenn man damit beschäftigt ist, all den Kaviar, die Obsttörtchen, den Entenbraten, das Pfefferminzfondant, den Stiltonkäse und die Orchideen auseinanderzuhalten, die auf einem einzigen kleinen Plastiktablett eine innige Mischung eingegangen sind. Ich war noch emsig damit beschäftigt, die Salz- und Pfefferpäckchen aufzureißen und mich des Messers und der Gabel zu bemächtigen, die in sterilisiertem Cellophan eingewickelt waren wie ein chirurgisches Besteck, als das Mädchen bemerkte:
    »Damals war Vati, glaube ich, recht bös auf die Ärzte zu sprechen. Wissen Sie, mein Bruder wollte Arzt werden, aber er brachte es irgendwie nie zustande, in eine medizinische Schule aufgenommen zu werden. Das arme Lämmchen ist bei den Vorprüfungen so schrecklich verängstigt, er wird schon gleich durch die erste Frage mit einem psychologischen Sprengkopf torpediert.«
    »Ihr Bruder — !« rief ich.
    Ich starrte sie an. Der Groschen war gefallen.
    »Großer Gott«, strahlte ich. »Wo sind die Zöpfe geblieben?«
    Das Mädel riß die Augen auf. »Wie bitte?«
    »Die Zöpfe. An denen ich Sie immer zog.« Von ihren Sommersprossen schwieg ich lieber. »In jenem Sommer in Whortleton-on-Sea.«
    Sie schaltete die Augen auf volle Lichtstärke ein.
    »Sie sind doch nicht am Ende gar Gaston Grimsdyke —?«
    »Doch, bin ich.«
    »Und Sie sind Arzt geworden — ?«
    »Da die Zeit erfüllet ward, gewiß.«
    Sie schnappte nach Luft. »Nein, so etwas!«
    »Und Sie sind doch nicht am Ende Lucy Squiffington?«
    »Doch, natürlich bin ich’s!«
    »Nein, so etwas!«
    Wir brachen in Lachen aus. Ich betätigte abermals den kleinen Plastikknopf.
    Meine Affäre mit Lucy hatte sich, wie so manche große Leidenschaft der Weltgeschichte, zart aus stacheliger Abneigung entwickelt. Wenn ich ihr das Eimerchen klaute, hieb sie mir mit der Schaufel über das Ohr. Als sie mir dann die Krabbe entführte, die ich für das Bett ihres Bruders vorgesehen hatte, ließ ich eine Portion Eiscreme ihren Nacken hinunter gleiten. Der Hader zog sich endlos hin — drei ganze sonnenerfüllte Tage - bis zu jenem Nachmittag, da ich entdeckte, daß ich zu weit gegangen war: ich war auf ihre Sandburg mit den echten Zinnen gesprungen und hatte die arme Lucy in ein Meer von Tränen gestürzt. Zum Glück bot sich mir später die Chance, meine edleren Eigenschaften zu entfalten, indem ich eine Biene von ihrem Hals entfernte — wenn ich auch wußte, daß es eine solche war, die nicht stach. Danach zeigte ich ihr meine Sammlung seltsamer Wurzelknollen, und sie schenkte mir eine Qualle, und nun gab’s kein Halten mehr.
    »Was treibt denn jetzt Ihr Bruder George?« fragte ich, nachdem wir angesichts der mit dem Gratis-Champagner herbeieilenden Pastortocher in unbändige Heiterkeit ausgebrochen waren.
    »George? Oh, dem geht’s glänzend. Der ist einer jener Atomwissenschaftler, über die man fortwährend in den Zeitungen liest. Er arbeitet im Auftrag der Regierung an einer fürchterlich geheimen Forschung irgendwo auf dem Land.«
    »Was, unser alter George?« rief ich.
    Ich war perplex. Diese Atomleute müssen doch Schwergewichtler in Kopfarbeit sein, und als wir zusammen auf der Schule waren, hatte Squiffy, wie man so sagt, eine recht lange Leitung besessen, die aber meiner Meinung nach zu nichts führte. Da unser Verkehr sich bis zum Austauschen von Murmeln erstreckte, wurde ich auch nach Whortleton eingeladen, und wir segelten gemeinsam den akademischen Strom hinauf, bis er am Boyleschen Gesetz Schiffbruch erlitt und die Pauker ihm sagten, seine einzige Chance, in ein Spital zu kommen, bestünde darin, sich von einem Autobus überfahren zu lassen.
    »Ich glaube, Sie würden George jetzt völlig verändert finden«, bemerkte Lucy etwas scharf.
    »Sicher hat er die richtige Hand für die Atome der Regierung«, setzte ich rasch fort. Wahrscheinlich war das Boylesche Gesetz jetzt ebenso überholt wie ein Blasebalg in einem Schmiedebetrieb. »Ich wollte nur sagen: hoffentlich weiß er all die Geheimnisse gut zu wahren.«
    Ich erinnerte mich, daß ich ihm einstens anvertraut hatte, ich schliefe in meinen Socken, und vor Tagesanbruch hatte sich das in der ganzen Schule herumgesprochen.
    »George läßt keinem Menschen gegenüber ein Wörtchen über seine Arbeit verlauten. Nicht einmal mir gegenüber, und wir haben doch unser ganzes Leben lang alle Geheimnisse
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