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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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zu halten:
    »Der einzige Sinn einer Beziehung ist es, in Kleinformat das ›ganze verdammte Drama‹ von Leben und Tod durchzuspielen. Die Liebe wird geboren, wie ein Kind geboren wird. Die Liebe wächst heran, wie ein Kind heranwächst. Ein Mensch weiß genau, dass er sterben muss, aber weil er nur das Leben kennt, glaubt er nicht an den Tod. Dann erkaltet die Liebe eines Tages. Das Herz der Liebe hört auf zu schlagen. Die Liebe fällt tot um. Auf diese Weise lernt der Mensch, dass der Tod Wirklichkeit ist, dass der Tod auch in seinem Dasein existieren kann, sein eigener Tod. Der Verlust eines Haustiers oder einer Rose oder eines Elternteils kann einem Menschen weh tun, aber er führt nicht zur Erkenntnis. Der Tod muss im Herzen stattfinden, damit man an ihn glaubt. Nachdem die Liebe gestorben ist, glaubt der Mensch an seinen Tod.«
    Olu hörte zu und musste lachen.
Ja, aber was ist, wenn das Gegenteil der Fall ist?
Was ist, wenn die Liebe nie stirbt, was ist, wenn die Liebe nicht geboren wurde? Was ist, wenn sie schon immer existiert hat – seit sie sich berührt haben, als sie sich beim Open House des Asian American Cultural Center in Yale Punsch einschenkten? Was ist, wenn es gar keine Beziehung gibt, die zu Ende gehen kann, kein mein Freund/meine Freundin? Kein »jetzt sind wir« und deshalb auch nicht irgendwann ein »jetzt sind wir nicht«? Das ist es, was er mit Ling Wei hat, dachte er. Das dramalose Leben einer unbegonnenen Liebe.
    Dann heirateten sie in Las Vegas, aus einer Laune heraus. Anschließend schliefen sie miteinander, ihr Gesicht in seiner Hand. Nachts lag er reglos da, ihre Wange an seinem Brustbein, und er dachte an das »Ende« und hätte am liebsten geweint. Viele Jahre vorher hatte er sich geschworen, das nie mehr zu tun, hatte die Zähne zusammengebissen, während er in den Spiegel schaute, allein in seinem Wohnheim. Nun starrte er bis zur Morgendämmerung auf das rosarote Neonherz, das stumm an der Decke blinkte, aus, an. Am Morgen fragte er sie, ob sie es für sich behalten könnten, keinem sagen, was sie getan hatten. Damit es »nur für sie beide« war. Eigentlich wollte er sagen: »Stirb nicht, werde nicht kalt, hör nicht auf zu schlagen.« Aber er wusste, es half alles nichts.
    Jetzt steht er in der Tür, in dieser Action-Pause, und er denkt, was er schon früher im Schlafzimmer gedacht hat: dass er es nicht ertragen kann, sie zu verlieren, wenn sie sich noch weiter entfernt oder er selbst sich weiter entfernt, so wie jetzt. Seine einzigen Optionen sind »vorwärts« und »näher«, nicht »zurück«, wie er gehofft hat. Sie können den Anfang nicht in einen Nichtanfang verwandeln.
    Deshalb fängt er ganz schlicht an: »Ich muss dir etwas sagen.«
    Sie schaut zu ihm, sieht, dass seine Augen geschlossen sind, und will aufstehen. Er hört ihre Bewegung und schüttelt den Kopf. »Bitte. Bitte, hör mir einfach zu.« (Sie tut es, setzt sich zurück, auf ihre Füße.) »Man lebt sein ganzes Leben in dieser Welt, in diesen Welten, und man weiß, was die Leute über einen denken, man weiß, was sie sehen. Man sagt, ich bin Afrikaner, und möchte sich dafür entschuldigen, will sofort nachschieben:
Aber ich bin intelligent
. Es gibt keine Wertschätzung. Man spürt es. Sie sagen Asien, das alte China, das alte Indien, und jeder denkt, oooh, die alte Weisheit des Ostens. Man sagt, ›das alte Afrika‹, und alle denken: unwichtig. Staubig und unwichtig. Verloren. Es interessiert sie einen Scheiß. Man will, dass sie einen für wertvoll halten, nicht staubig, nicht kaputt, nicht rückständig, stimmt’s? Man will, dass es einem scheißegal ist, aber es ist einem nicht scheißegal, weil man Bescheid weiß, Ling – man hat Angst vor dem, was sie denken, aber nicht sagen. Und dann, eines Tages, hört man es doch. Zum Beispiel dein Vater …«
    »Mein Vater ist ein Arsch …«
    »Dein Vater hatte recht. Ich bin bei der Abschlussfeier nicht wegen dieses Projekts nach Haiti geflogen. Ich bin nach Ghana gereist, um ihn zu sehen. Ich habe gelogen. Er hat immer geschrieben, ich soll ihn doch besuchen, immer an meinem Geburtstag, damit ich mir anhöre, was er zu sagen hat. Er hat … er hat in einer scheußlichen Wohnung gewohnt. Und mir erklärt, das sei nur eine Zwischenlösung, bis er sich ein Grundstück kaufen kann. Und da war eine Frau, eine andere Frau, er hat mit einer Frau zusammengelebt, keine Ahnung, wer sie war. Ich weiß, wer er war. Er war dieser Mann. Ein ganz bestimmter Typ. Der
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