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Etwas ist faul

Etwas ist faul

Titel: Etwas ist faul
Autoren: Agatha Christie
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Etwas ist faul
     
    M rs St. Vincent rechnete. Ein- oder zweimal seufzte sie, und ihre Hand stahl sich zu ihrer schmerzenden Stirn. Zahlen zu addieren hatte sie immer gehasst. Unglücklicherweise schien ihr Leben im Augenblick nur aus einer bestimmten Art von Zahlen zu bestehen. Das Zusammenzählen kleiner notwendiger Ausgabenposten ergab jedes Mal eine Gesamtsumme, die sie immer wieder überraschte und entsetzte.
    Sicherlich konnte sie nicht so hoch sein! Sie begann noch einmal von vorne. Sie hatte sich bei einem Pfennigbetrag geirrt, sonst stimmte alles.
    Mrs St. Vincent seufzte wieder. Ihr Kopfweh war jetzt wirklich sehr schlimm. Dann blickte sie auf. Ihre Tochter Barbara war ins Zimmer gekommen. Sie war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, hatte das zarte Gesicht ihrer Mutter und auch die gleiche stolze Kopfhaltung, aber ihre Augen waren dunkel statt blau, und sie hatte einen anderen Mund, einen trotzigen roten Mund, der nicht ohne Reiz war.
    »Ach, Mutter!«, rief sie. »Kämpfst du immer noch mit diesen schrecklichen alten Rechnungen? Wirf sie doch ins Feuer!«
    »Wir müssen wissen, woran wir sind«, antwortete Mrs St. Vincent unsicher.
    Das Mädchen hob die Schultern.
    »Wir sitzen immer in derselben Klemme«, sagte sie trocken. »Verdammt knapp bei Kasse. Abgebrannt bis auf den letzten Penny, wie gewöhnlich.«
    Mrs St. Vincent seufzte.
    »Ich wünschte…« begann sie und schwieg dann.
    »Ich muss mir Arbeit suchen«, sagte Barbara in energischem Ton. »Und zwar schnell. Schließlich habe ich einen Steno- und Schreibmaschinenkurs absolviert. Aber wie ich merke, hat das eine Million Mädchen auch getan. Was für Erfahrungen haben Sie?‹ Dann stottere ich: ›Nun, eigentlich…‹ Und schon heißt es ›Vielen Dank, guten Tag. Wir geben Ihnen Bescheid.‹ Aber sie geben einem nie Bescheid! Ich muss etwas anderes finden. Irgendetwas!«
    »Nicht jetzt, meine Liebe«, bat ihre Mutter. »Warten wir noch etwas.«
    Barbara trat ans Fenster und blickte hinaus, ohne die schäbigen Häuser gegenüber wahrzunehmen.
    »Manchmal bedaure ich es«, sagte sie langsam, »dass Amy mich letzten Winter mit nach Ägypten nahm. O ja, ich weiß, es hat mir großen Spaß gemacht – das einzige Mal, dass ich so etwas erlebt habe. Und es wird wohl auch das einzige Mal bleiben. Ich habe es genossen – richtig genossen. Aber es hat mich auch aus der Bahn geworfen. Ich meine – hierher zurückzukommen…«
    Sie deutete mit einer alles umfassenden Geste durch das Zimmer. Mrs St. Vincent folgte ihrer Hand mit den Augen und zuckte zusammen. Es war ein typisches billiges möbliertes Zimmer. Eine staubige Aspidistra, pompöse Möbel, eine geschmacklose Tapete, die an manchen Stellen verschossen war. Es gab Anzeichen dafür, dass sich der Geschmack der Mieter gegen den der Vermieterin durchzusetzen versucht hatte. Ein oder zwei Porzellanfiguren standen da, mit Sprüngen und geklebten Stellen, sodass ihr Wert gleich Null war, jemand hatte ein Stück Stickerei über die Sofalehne geworfen, und ein Aquarell hing da, das ein junges Mädchen in der Mode von vor zwanzig Jahren zeigte und dem Mrs St. Vincent auch heute noch ähnlich sah.
    »Es wäre nicht so schlimm«, fuhr Barbara fort, »wenn wir nichts anderes gewohnt wären. Aber die Erinnerung an ›Ansteys‹…«
    Sie brach ab, weil sie nicht den Mut hatte, über das geliebte Haus zu sprechen, das den St. Vincents Jahrhunderte gehört hatte und jetzt im Besitz von fremden Leuten war.
    »Wenn Vater nicht… wenn er nicht spekuliert… wenn er sich nicht Geld geliehen hätte…«
    »Meine Liebe«, sagte Mrs St. Vincent. »Dein Vater war in keinem Sinne des Wortes ein Geschäftsmann.«
    Sie sagte es in einer freundlichen, endgültigen Art, und Barbara ging zu ihr und gab ihr einen flüchtigen Kuss. »Meine liebe alte Mama«, murmelte sie. »Ich sage nichts mehr.«
    Mrs St. Vincent nahm ihren Stift wieder auf und beugte sich über ihren Schreibtisch. Barbara kehrte zum Fenster zurück.
    »Mutter«, sagte sie, »ich habe heute Morgen von Jim Masterton gehört. Er möchte mich besuchen kommen.«
    Mrs St. Vincent legte den Stift hin und blickte auf. »Hier?«, fragte sie.
    »Na ja, wir können ihn wohl kaum zum Abendessen ins ›Ritz‹ einladen«, spottete Barbara.
    Ihre Mutter machte ein unglückliches Gesicht. Wieder blickte sie angeekelt durch das Zimmer.
    »Ja, du hast Recht«, sagte Barbara. »Es ist schrecklich hier. Verarmter Adel! Klingt alles ganz hübsch – ein kleines
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