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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze
Autoren: Robert Spaemann
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Vorwort
    Recht behalten zu haben ist eine kümmerliche Befriedigung. Der Warner vor einem großen Unglück würde es ja vorziehen, ganz und gar widerlegt zu werden. Three Miles Island – Tschernobyl – Fukushima : Immer waren es unglückliche Zufälle, aus denen man, zum Beispiel in Russland, offenbar nichts lernen kann und zu lernen braucht – jedenfalls nicht zu lernen, dass man aus dieser Technologie aussteigen muss.
    Stattdessen planen wir einzelne zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, die die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe vermindern sollen. Die Katastrophe – auch für den schlimmsten Fall – gänzlich und definitiv auszuschließen hieße, auf die Technik der Kernspaltung zu verzichten. Wir gehen in unserem Leben ständig Risiken ein, manchmal riskieren wir sogar unser Leben. Wir steigen in Flugzeuge, obwohl die Wahrscheinlichkeit abzustürzen nicht gleich Null ist. Es kommt darauf an, einzusehen, dass die Sache hier anders liegt: Keine noch so weitgehende Minimierung des Risikos kann uns berechtigen, sukzessiv ganze Regionen unseres kleinen Planeten in No-Go-Areas oder in Todeszonen zu verwandeln.
    Man sagt uns, diese Technologie sei im Augenblick ohne Alternative. Wäre dem so, hieße das, eine unsichtbare, intelligente Hand würde die Entwicklung von Wissenschaft und Technik so steuern, dass immer dann, wenn die Menschheit mit ihrem Überleben und ihrem materiellen Fortschritt in einen Engpass gerät, plötzlich genau die Entdeckung bei der Hand wäre, die allein ermögliche, dass es weitergeht mit dem Menschen. Kein Vertreter des Intelligent Design in der Evolutionstheorie wagt eine vergleichbar fantastische Annahme. Rettende Lösungen existentiell bedeutsamer Krisen werden allerdings in der Regel nur dann gefunden, wenn die Menschheit mit dem Rücken zur Wand steht. Solange das Ausweichen auf Atomenergie als Option zur Verfügung steht, ist diese Dringlichkeit nicht gegeben, die uns zu alternativen Lösungen führt. Dabei zeichnen sich inzwischen ja schon die Alternativen ab, und man spricht von der Atomenergienutzung als »Brückentechnologie«. Aber diese Brücke muss man so schnell wie möglich überqueren, und das auch unter einschneidenden Opfern an Geld und Wohlstand. Wenn ein Mensch in einer existenzbedrohenden Not das Leben seines Kindes verwettet, handelt er auch unverantwortlich, selbst wenn die Gewinnchancen bei dieser Wette für ihn 99:1 stehen. Niemand kann ja wissen, ob das Unwahrscheinliche gerade morgen geschieht.
    Es ist nicht von ungefähr, dass die erste Nutzung der Kernenergie ein Massenmord war, der Massenmord an den Bewohnern von Hiroshima und Nagasaki. »It wastechnologically so sweet«, gestand Robert Oppenheimer, um sein Engagement für die Herstellung der Bombe zu erklären, gegen die er sich später ausprach. Und Carl Friedrich von Weizsäcker erzählte, was er und mit ihm das Forscherteam, das an der Bombe arbeitete, spontan äußerte, als die Nachricht von der Vernichtung Hiroshimas bekannt wurde: »Also, es klappt tatsächlich!« So sind Wissenschaftler, wenn sie ausschließlich Wissenschaftler sind. Aber als es dann später um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ging, wussten wir – die Gegner dieser Bewaffnung – denselben Carl von Weizsäcker auf unserer Seite. Auch damals hörten wir das Argument, es gebe keine Alternative. Ohne diese Waffe wäre der Westen angeblich gegenüber der sowjetischen – bis dahin noch nicht nuklearen – Bedrohung wehrlos, was natürlich nur dann zutraf, wenn man die Alternative höherer Rüstungsausgaben und höherer Militärstärken nicht in Betracht zu ziehen bereit war. Es war übrigens interessant, dass unsere fairsten Kritiker und Gesprächspartner führende Militärs waren und dass es die Zeitschrift Militärseelsorge war, die diese Kontroverse veröffentlichte.
    Viele Jahre später, als es dann um die Nachrüstung ging, wurde ich zum Gegner der sogenannten Friedensbewegung. (Ich habe das in einem Brief an Heinrich Böll erklärt, der jetzt in dem Band »Grenzen« dokumentiert ist.) Hier ging es nämlich nicht mehr um die Frage eines Ja oder Nein zur atomaren Bewaffnung. Diese Bewaffnung hatte ja längst stattgefunden, sondern es gingdarum, das Kriegsrisiko zu senken: Das Gleichgewicht des Schreckens wollte der Westen immer wieder in dem Maße sichern, in dem die Sowjetunion dieses Gleichgewichts gefährdete. Ein amerikanisches Monopol auf Atomwaffen hielt ich damals für genauso gefährlich wie ein sowjetisches. So
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