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Will & Will

Will & Will

Titel: Will & Will
Autoren: John Green , David Levithan
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Erstes Kapitel
    Als ich klein war, hat mein Vater immer zu mir gesagt: »Will, du kannst dir deine Freunde aussuchen und du kannst bei dir in der Nase bohren, aber in den Nasen deiner Freunde hat dein Finger nichts zu suchen.« Mit acht hielt ich das für eine einigermaßen einleuchtende Bemerkung, aber später stellte ich fest, dass diese Argumentation auf mehreren Ebenen falsch ist. Was schon mal damit anfängt, dass man sich seine Freunde nicht aussuchen kann. Sonst wäre ich ja wohl nie bei Tiny Cooper gelandet.
    Tiny Cooper ist nicht der schwulste Mensch auf der Welt und er ist auch nicht der größte Mensch auf der Welt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass er der größte Mensch auf der Welt ist, der richtig, richtig schwul ist, und der schwulste Mensch auf der Welt, der wirklich, wirklich groß ist. Tiny ist seit der fünften Klasse mein bester Freund, sieht man mal vom letzten halben Schuljahr ab, in dem er hauptsächlich damit beschäftigt war, die große Bandbreite seines Schwulseins zu entdecken, und in dem ich hauptsächlich damit beschäftigt war, mir das erste Mal in meinem Leben einen Freundeskreis Für Mich (FFM) aufzubauen, von dem inzwischen keiner mehr mit mir spricht. Was mit zwei Regelverstößen meinerseits zu tun hat, und zwar:
     
    1.) Nachdem ein Mitglied des Schulbeirats sich darüber aufgeregt hatte, dass in unserem Umkleideraum unter den Jungs auch Schwule seien, verteidigte ich Tiny Coopers Recht darauf, nicht nur riesengroß (und deshalb der beste Angriffspieler
in unserem ansonsten bodenlos schlechten Football-team), sondern auch schwul zu sein, und legte das alles in einem offenen Brief an unsere Schülerzeitung dar, unter den ich dummerweise meinen Namen setzte.
     
    2.) Und dann gab es da in meinem Freundeskreis einen Typen namens Clint, der mittags in der Cafeteria über diesen Brief gelästert und mich dabei einen Tuntenquäker genannt hat, und weil ich dieses Wort nicht kannte, hab ich gefragt: »Was soll ich sein?«, und da hat er mich noch einmal einen Tuntenquäker genannt, woraufhin ich ihm gesagt habe, er solle sich verpissen, und dann mein Tablett genommen habe und gegangen bin.
     
    Was rein praktisch gesehen wohl bedeutet, dass ich den Freundeskreis verlassen habe, obwohl es sich für mich genau umgekehrt angefühlt hat. Ehrlich gesagt hatte ich sowieso nie das Gefühl, dass sie mich besonders mochten, aber sie waren immerhin da, was auch schon was ist. Und jetzt wo sie nicht mehr da sind, habe ich niemanden mehr um mich herum.
    Außer man zählt Tiny zu meinen Freunden. Was ich wohl tun muss.
     
    Undsoalso sitze ich ein paar Wochen nach den Weihnachtsferien in Mathe auf meinem angestammten Platz, als Tiny hereingeschneit kommt, das Trikot in die Trainingshose gestopft, obwohl die Football-Saison längst vorbei ist. Jeden Tag schafft es Tiny auf wundersame Weise, sich in Mathe neben mich auf den schmalen Sitz zu quetschen, und jeden Tag wundere ich mich, wie ihm das bloß gelingt.
    Also Tiny quetscht sich an seinen Platz, ich staune ausgiebig, und dann dreht er sich zu mir und flüstert ganz laut, weil er insgeheim will, dass die anderen ihn hören: »Ich habe mich verliebt.« Ich verdrehe die Augen, weil er sich alle Nase lang in einen anderen armen Jungen verliebt. Sie sehen alle gleich aus: dünn und verschwitzt und braun gebrannt, wobei das Letztere besonders abgeschmackt ist, denn wenn einer im Februar in Chicago braun gebrannt ist, kann das nur ein Fake sein, und Jungs, die ins Sonnenstudio gehen – egal ob schwul oder nicht –, sind einfach nur lächerlich.
    »Du bist so zynisch«, sagt Tiny und deutet handwedelnd auf mich.
    »Ich bin nicht zynisch, Tiny«, antworte ich. »Ich bin realistisch.«
    »Du bist ein Roboter.« Tiny glaubt, dass ich unfähig zu allem sei, was Menschen so Gefühle nennen, weil ich seit meinem siebten Geburtstag nicht mehr geheult habe. Das war damals bei dem Film »Charlie – Alle Hunde kommen in den Himmel«. Wahrscheinlich hätte mir schon durch den Titel klar sein sollen, dass alles gut ausgehen würde. Aber ich war da schließlich erst sieben, so viel zu meiner Entschuldigung. Egal, jedenfalls habe ich seither nicht mehr geheult. Ich verstehe auch nicht, was Heulen bringen soll. Und außerdem kann man die Gründe, weshalb man vielleicht heulen muss, total vermeiden – außer es sind Verwandte gestorben oder so was –, wenn man zwei einfache Regeln befolgt: 1.) Lass nichts zu nah an dich ran. 2.) Maul halten. Alles
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