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Etwas ist faul

Etwas ist faul

Titel: Etwas ist faul
Autoren: Agatha Christie
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Nazorkoff, heute Abend. Es gibt keine andere Frau auf der Bühne, die sich so ausspielt in dieser Rolle, wie sie es tut.«
    Leconmere nickte.
    Und jetzt hatte Scarpia seinen Preis genannt, Tosca flieht entsetzt von ihm fort zum Fenster. Dann hört man von fern Trommelschläge, und Tosca wirft sich voller Verzweiflung auf das Sofa. Scarpia steht über sie gebeugt, erzählt, wie seine Leute den Galgen errichten – dann Schweigen, und wieder der weit entfernte Trommelwirbel. Die Nazorkoff liegt bäuchlings auf dem Sofa, ihr Kopf hängt tief herab, berührt fast den Boden, ihr Gesicht wird durch das herabfallende Haar verdeckt. Dann, in herrlichem Gegensatz zu der Leidenschaft und der seelischen Not der vergangenen zwanzig Minuten, erklingt ihre Stimme, hoch und klar, die Stimme, die – genau wie sie Cowan gesagt hatte – die eines Chorknaben oder eines Engels ist.
    »Vissi d’arte, vissi d’amore, non feci mai male ad anima viva! Con man furtiva quante miserie conobbi, au i utai.«
    Es war die Stimme eines verwunderten, verwirrten Kindes. Dann kniet sie noch einmal nieder, bittend und flehend, bis zu dem Augenblick, da Spoletta das Zimmer betritt. Tosca, völlig erschöpft, fügt sich, und Scarpia spricht die schicksalhaften zweideutigen Worte aus. Spoletta geht noch einmal fort. Dann kommt der dramatische Augenblick, da Tosca, die mit zitternder Hand ein Glas Wein hochhebt, das Messer auf dem Tisch erblickt und es hinter sich verbirgt.
    Bréon erhebt sich, schön, kämpferisch, entflammt in Leidenschaft. »Tosca, finalmente mia!« Dann das blitzschnelle Zustoßen des Messers, und Toscas Aufschrei der Rache:
    »Questo è il bacio di Tosca!« (Das ist der Kuss der Tosca!)
    Niemals vorher hatte die Nazorkoff solche Intensität bei Toscas Racheakt gezeigt. Dieses letzte wilde Flüstern »Muori dannato«, und dann mit einer merkwürdig ruhigen Stimme, die das ganze Theater erfüllte:
    »Orgli perdono!« (Jetzt vergebe ich ihm!)
    Das sanfte Todesthema ertönt, als Tosca mit ihrer Zeremonie beginnt, zu beiden Seiten seines Kopfes Kerzen aufstellt, ihm ein Kruzifix auf die Brust legt, ihr letztes Innehalten, als sie sich in der Tür noch einmal umdreht, das Dröhnen der Trommeln aus der Ferne; und der Vorhang fällt.
    Diesmal brach ein echter Begeisterungssturm im Publikum los, doch er war von kurzer Dauer. Jemand stürzte hinter dem Vorhang hervor und sprach mit Lord Rustonbury. Er erhob sich, und nachdem er sich ungefähr zwei Minuten lang Gewissheit verschafft hatte, wandte er sich vorbeugend zu Sir Donald Calthorp, einem berühmten Arzt. Fast in Sekundenschnelle verbreitete sich im Zuschauerraum die Nachricht von dem Geschehenen. Ein Unfall war geschehen, jemand war ernstlich verletzt worden. Einer der Sänger erschien vor dem Vorhang und erklärte, dass Monsieur Bréon unglücklicherweise einen Unfall erlitten habe – die Oper müsse abgebrochen werden. Wieder flog das Gerücht auf, Bréon sei erstochen worden, die Nazorkoff habe den Kopf verloren, sie habe ihre Rolle so intensiv mitgelebt, dass sie tatsächlich den Partner erstochen hätte. Lord Leconmere, der mit seinem Freund, dem Botschafter, sprach, spürte, wie ihn jemand am Arm berührte, wandte sich um und sah in Blanche Amerys Augen.
    »Es war kein Unfall«, hörte er das Mädchen sagen. »Ich bin sicher, es war kein Unfall. Hörten Sie nicht, kurz vor dem Dinner, die Geschichte, die er erzählte – von diesem Mädchen in Italien? Dieses Mädchen war Paula Nazorkoff. Als sie so etwas von ›wir Russinnen‹ sagte, bemerkte ich den verblüfften Blick von Mr Cowan. Sie hat wohl einen russischen Namen angenommen, er aber wusste nur zu gut, dass sie Italienerin ist.«
    »Aber meine liebe Blanche«, sagte Lord Leconmere.
    »Ich versichere Ihnen, es ist so. In ihrem Schlafzimmer lag eine Zeitschrift, aufgeschlagen auf der Seite, auf der Monsieur Bréon in seinem englischen Landsitz abgebildet ist. Sie wusste davon, bevor sie hierher kam. Ich glaube, sie hat dem armen kleinen Italiener etwas gegeben, das ihn krank machte.«
    »Aber warum?«, schrie Lord Leconmere. »Warum?«
    »Aber verstehen Sie nicht? All das ist die Geschichte der Tosca. Er begehrte sie in Italien, sie aber war ihrem Geliebten treu, und sie ging zu Bréon, um ihn zu bitten, ihrem Geliebten zu helfen, und er gab vor, er würde ihr helfen. Doch stattdessen ließ er ihn sterben. Und jetzt war endlich die Stunde ihrer Rache da. Haben Sie nicht gehört, wie sie ausstieß ›Ich bin Tosca‹? Und
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