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Etwas ist faul

Etwas ist faul

Titel: Etwas ist faul
Autoren: Agatha Christie
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die Chance zu einem großen Engagement gehabt, aber sie war dumm – hoffnungslos dumm.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Wieso dumm?«
    Es war Lady Rustonburys vierundzwanzigjährige Tochter, Blanche Amery, die sich mit dieser Frage am Gespräch beteiligte. Ein schlankes Mädchen mit großen blauen Augen. Der Franzose wandte sich ihr sofort höflich zu.
    »Leider, Mademoiselle, sie war wegen irgendeines gemeinen Burschen da in eine Sache verwickelt. Er war ein Schurke, ein Mitglied der Camorra, dieser Verschwörerbande in Neapel. Er geriet in Schwierigkeiten mit der Polizei, wurde zum Tode verurteilt. Sie kam zu mir und bat mich, etwas zu unternehmen, damit ihr Geliebter gerettet würde.«
    Blanche Amery starrte ihn an.
    »Und Sie taten es?«, fragte sie atemlos.
    »Ich, Mademoiselle, was konnte ich tun? Ein Fremder im Land.«
    »Hatten Sie nicht doch damals einigen Einfluss?«, fragte die Nazorkoff mit ihrer tiefen, bebenden Stimme.
    »Wenn ich ihn hatte, bezweifle ich, ob ich ihn ausgenützt hätte. Der Mann war es nicht wert. Ich tat für das Mädchen, was ich konnte.«
    Er lächelte ein wenig, und das Lächeln missfiel plötzlich dem englischen Mädchen, denn etwas an dem Ausdruck dieses Lächelns war unangenehm. Sie spürte, dass das, was er sagte, in dem Moment nicht mit dem übereinstimmte, was er dachte.
    »Sie taten, was Sie konnten«, sagte die Nazorkoff. »Das war sehr freundlich von Ihnen, und war das Mädchen auch dankbar?«
    Der Franzose zuckte die Achseln.
    »Der Mann wurde hingerichtet«, sagte er, »und das Mädchen ging in ein Kloster. Et voilà! Die Welt hat eine Sängerin verloren.«
    Die Nazorkoff lachte leise.
    »Wir Russen sind nicht so standhaft«, sagte sie leichthin.
    Blanche Amery, die zufällig Cowan ansah, während die Sängerin sprach, bemerkte, wie er erstaunt zu ihr hinübersah. Er öffnete die Lippen halb, schloss sie dann aber wieder gehorsam, als Paula ihm einen warnenden Blick zugeworfen hatte.
    Der Butler erschien in der Tür.
    »Dinner«, sagte Lady Rustonbury und erhob sich. »Ihr armen Künstler, ihr tut mir leid. Es muss doch schrecklich sein, vor dem Singen immer so hungern zu müssen. Aber nachher wird es ein köstliches Essen geben.«
    »Wir werden uns darauf freuen«, sagte Paula Nazorkoff. Sie lachte leise. »Nachher!«
     
     

3
     
    Im Theater war soeben nach dem ersten Akt der »Tosca« der Vorhang gefallen. Die Zuschauer bewegten sich und sprachen leise miteinander. Die königlichen Hoheiten, charmant und leutselig, saßen in den drei Samtstühlen vor der ersten Reihe. Jeder flüsterte und tuschelte mit seinem Nachbarn. Allgemein herrschte die Meinung, die Nazorkoff habe im ersten Akt nicht ihren großen Ruf bestätigt. Die meisten Anwesenden wussten nicht, dass gerade darin die Kunst der Nazorkoff bestand, im ersten Akt ihre Stimme und sich selbst zu schonen. Sie machte aus Tosca eine leichte, frivole Figur, tändelnd mit Liebe, kokett-eifersüchtig und anspruchsvoll. Bréon überzeugte noch als herrlich zynischer Scarpia, obgleich der Schmelz seiner Stimme den Höhepunkt bereits überschritten hatte. Nichts während seines Spiels deutete auf den alternden Wüstling hin. Er machte aus Scarpia eine schöne, fast gütige Gestalt – nur mit einem Schuss subtiler Gemeinheit, die aber unter dem äußeren Schein fast verborgen blieb. Im letzten Teil, als Scarpia in Gedanken verloren dasteht und über seinen Plan, Tosca zu retten, nachsinnt, hatte Bréon sein unvergleichliches Können gezeigt. Jetzt hob sich der Vorhang wieder für den zweiten Akt, die Szene in Scarpias Zimmer.
    Diesmal wurde beim Auftritt der Tosca die Kunst der Nazorkoff mit einem Schlage offenbar. Hier war sie eine Frau in Todesangst, und sie spielte ihre Rolle mit der Sicherheit einer überragenden Schauspielerin. Wie sie Scarpia leichthin grüßte, wie sie sich lässig gab und lächelte, verfehlte nicht die Wirkung auf ihn. In dieser Szene spielte Paula Nazorkoff mit den Augen; sie agierte mit Todesruhe, mit teilnahmslos lächelndem Gesicht. Nur ihre Augen, die immer wieder Scarpia blitzende Blicke zuwarfen, verrieten ihre wahren Gefühle. Und so nahm die Geschichte ihren Fortgang, die Folterszene, der Zusammenbruch Toscas, schließlich die völlige Selbstaufgabe, wie sie zu Scarpias Füßen fällt und ihn vergebens um Gnade anfleht. Der alte Lord Leconmere, der ein Musikkenner war, nickte, und ein ausländischer Botschafter, der neben ihm saß, flüsterte:
    »Sie übertrifft sich selbst – die
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