Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Etwas ist faul

Etwas ist faul

Titel: Etwas ist faul
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
begann in einer Illustrierten zu blättern, die dort lag. Es entstand eine Pause. Sie hielt inne, als ihre Hand auf einer der Seiten verweilte. Dann ließ sie die Wochenzeitschrift auf den Boden gleiten und ging langsam zu ihrem Sessel zurück. Mit einem ihrer gewohnten raschen Stimmungswechsel schien sie jetzt eine völlig andere Persönlichkeit zu sein. Sie gab sich ruhig, fast streng. »Treffen Sie alle Vorbereitungen für Rustonbury. Ich möchte dort singen, allerdings unter einer Bedingung – die Oper muss ›Tosca‹ sein.«
    Cowan machte ein wenig zuversichtliches Gesicht.
    »Das wird ziemlich schwierig sein – für eine Privatvorstellung, wissen Sie, die vielen Dekorationen und all das.«
    »›Tosca‹ oder nichts.«
    Cowan sah sie an, nickte kurz und stand auf.
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte er ruhig.
    Auch die Nazorkoff stand auf. Mehr als sonst schien sie bei der Sache zu sein, als sie ihm ihre Bedingung auseinandersetzte.
    »Es ist meine größte Rolle, Cowan. Ich singe diese Partie, wie keine andere Frau sie jemals gesungen hat.«
    »Es ist eine großartige Rolle«, sagte Cowan. »Die Callas begründete ihren Ruhm damit.«
    »Die Callas?«, schrie die andere, während Röte in ihre Wangen stieg. Sie redete weiter und gab sehr ausführlich ihre Meinung über die Callas wieder.
    Cowan, der daran gewöhnt war, den Urteilen von Sängerinnen über andere Sängerinnen zu lauschen, lenkte seine innere Aufmerksamkeit ab, bis die Tirade vorüber war; dann sagte er hartnäckig: »Jedenfalls singt sie ›vissi d’arte‹, während sie auf dem Bauch liegt.«
    »Warum nicht?«, fragte die Nazorkoff. »Was sollte sie davon abhalten? Ich werde die Arie singen, während ich auf dem Rücken liege und mit den Beinen in der Luft herumstrampele.«
    Cowan schüttelte mit großem Ernst den Kopf.
    »Ich glaube nicht, dass das übermäßig künstlerisch ist«, belehrte er sie. »Aber es macht Eindruck, wie Sie wissen.«
    »Niemand kann ›vissi d’arte‹ so singen wie ich«, sagte die Nazorkoff überzeugt. »Ich singe das mit einer Klosterstimme – so wie es die guten Nonnen mich vor vielen Jahren gelehrt haben. Mit der Stimme eines Chorknaben oder eines Engels, ohne Gefühl, ohne Leidenschaft.«
    »Ich weiß«, sagte Cowan herzlich. »Ich habe Sie gehört, Sie sind wundervoll.«
    »Das ist Kunst«, sagte die Primadonna, »den Preis zu bezahlen, zu leiden, zu erdulden und dann zum Schluss: nicht nur das Können zu haben, sondern auch die Macht, zurückzukehren, ganz zurück bis zum Beginn und die verlorene Schönheit und das Herz eines Kindes wiederzuerobern.«
    Cowan warf ihr einen erstaunten Blick zu. Sie sah durch ihn hindurch mit einem merkwürdigen leeren Ausdruck in den Augen, und etwas in diesem ihrem Blick gab ihm ein unheimliches Gefühl. Mit halb geöffneten Lippen flüsterte sie ein paar Worte wie zu sich selbst. Er fing sie gerade noch auf.
    »Endlich«, murmelte sie. »Endlich – nach so vielen Jahren.«
     
     

2
     
    Lady Rustonbury war sowohl eine ehrgeizige als auch eine künstlerische Frau. Die Vereinigung dieser beiden Eigenschaften hatte ihr einen durchschlagenden Erfolg verschafft. Sie hatte das große Glück, einen Mann zu haben, dem weder Ehrgeiz noch Kunst etwas bedeutete und der sie daher gewähren ließ. Der Earl of Rustonbury war ein großer, eckiger Mann, mit einem Interesse für Pferde und sonst gar nichts. Er bewunderte seine Frau. Er war stolz auf sie und war froh, dass sie – dank seinem Reichtum – ihre Pläne ausführen konnte. Das Privattheater war vor weniger als hundert Jahren von seinem Großvater erbaut worden. Es war Lady Rustonburys liebstes Spielzeug – sie hatte schon ein Drama von Ibsen aufführen lassen, dann ein Stück der allerneuesten Schule: alles Scheidung und Rauschgift, und eine poetische Fantasie mit kubistischer Szenerie. Die nun folgende Aufführung von »Tosca« hatte weitgespanntes Interesse geweckt. Lady Rustonbury hatte dazu eine sehr vornehme Hausparty arrangiert, und was in London Rang und Namen hatte, kam, um der Vorstellung beizuwohnen.
    Madame Nazorkoff und ihre Gesellschaft waren kurz vor dem Mittagessen angekommen. Der junge amerikanische Tenor Hensdale sollte den Cavaradossi singen und Roscari, der berühmte italienische Bariton, den Scarpia. Die Kosten für diese Aufführung waren enorm gewesen, aber darum kümmerte sich niemand. Paula Nazorkoff war in bester Stimmung, sie war charmant, freundlich gelöst und auf angenehmste Art sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher