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082 - Niemand hört dich schreien

082 - Niemand hört dich schreien

Titel: 082 - Niemand hört dich schreien
Autoren: A.F.Morland
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»Wenn ich Sie jetzt weiterbitten dürfte!« sagte Paul Irving, der Verwalter des Schlosses, das den beeindruckenden Namen Drake Castle trug. »Wir begeben uns nun gewissermaßen unter die Erde.«
    »Ins Verlies«, sagte jemand. Eine Frau kicherte nervös.
    »Wie schaurig«, sagte ein anderes Mitglied der Reisegruppe.
    »Und wir sehen uns als erstes die Folterkammer des Hexers an«, fuhr Paul Irving fort. Seit zehn Jahren führte er Besucher durch Drake Castle. Seit zehn Jahren verwendete er dieselben Worte, dieselben Sätze, dieselben stereotypen Redewendungen, dieselben Scherze - und seit zehn Jahren reagierte sein »Publikum« gleich.
    Wenn er von der Folterkammer des Hexers sprach, stockte den Frauen der Atem, den Mädchen entfuhr ein ängstliches »Oh«, und die Männer machten sich mit einem tapferen Schnaufer Mut.
    Wie gleich die Menschen doch alle sind, dachte Irving, während er die fünfzehnköpfige Gruppe - ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen - überblickte. Es sind immer andere Gesichter, aber meine Sprüche rufen stets dieselbe Reaktion hervor.
    Groß und hager war Paul Irving. Er kleidete sich mit Vorliebe schwarz, denn er wußte, was er seiner »Rolle« schuldig war, und daß das bei den Besuchern gut ankam.
    Ein schwarz gekleideter Mann mit schmalem Gesicht und düsterem Blick. Das wirkte. Vielleicht glaubten einige der Besucher, er würde in einem Sarg schlafen und sich vom Blut jener ernähren, die sich bei diesen Führungen im Schloß verirrten, weil sie zu weit zurückgeblieben waren. Ihm war's recht. Je mehr sich die Leute gruselten, desto besser war es fürs Geschäft, denn dann kehrten die Menschen beeindruckt nach Hause zurück und redeten mit Freunden und Bekannten über ihr unvergeßliches Erlebnis. Und eine gute Mundpropaganda kostete erstens nichts und war zweitens unbezahlbar.
    Irving brauchte die Leute nicht zu bitten, beisammen zu bleiben. Es schien ohnedies keiner den Mut zu haben, sich von der Gruppe zu lösen. Der Schloßverwalter verglich diese Besuchergruppen gern mit einer Schafherde, die sich vor einem Gewitter ängstlich zusammendrängt. Gemessenen Schrittes stieg er die abgetretenen Stufen hinunter, und wie immer, begann er an dieser Stelle mit dem Lebenslauf des unheimlichen Hexers, der tatsächlich vor langer Zeit in diesem düsteren Schloß gelebt hatte.
    »Er war ein grausamer Mann«, erzählte Paul Irving. »Niemand war vor ihm und seinen Folterknechten sicher. Sie verließen zumeist nachts Drake Castle und überfielen die Menschen in den umliegenden Dörfern in ihren Häusern. Sie brachten die unglücklichen Opfer hierher, und noch heute ist deren Schreien und Wehklagen in diesen alten Mauern gefangen. Sensible Menschen können es zu bestimmten Zeiten hören. Eine Frau fiel während einer solchen Führung in Ohnmacht, weil sie die gräßlichen Schreie, die außer ihr niemand vernahm, nicht ertragen konnte.«
    Letzteres stimmte zwar nicht, aber Paul Irving wußte aus Erfahrung, daß das auf die Besucher großen Eindruck machte. Jetzt horchte jeder gespannt in sich hinein und fragte sich unruhig, wie sensibel er war.
    »Mit dunkelrotem Blut ist die Geschichte des Hexers von Drake Castle geschrieben«, setzte Paul Irving seinen schaurigen Bericht fort. »Er hielt in diesem Schloß exzessive schwarze Messen ab, verherrlichte das Böse und betete den Teufel an. Oft gelang es ihm, den Fürsten der Finsternis zu beschwören, und wenn Asmodis dann erschien, brachte ihm Clive Pendrake, der Hexer, ein Menschenopfer dar. Böser Zauber und schwarze, Magie waren seine Waffen, und vielleicht werden einige von Ihnen spüren, wieviel von seiner Kraft immer noch präsent ist. Niemand konnte diese ungeheure Kraft bisher brechen. Viele mutige Männer haben es versucht, doch Erfolg war keinem von ihnen beschieden. Ich will damit sagen, daß der Hexer immer noch lebt. Er befindet sich nach wie vor in seinem Schloß. Wir werden später sehen, wo.«
    Lilly Kovacs ließ die Hand ihres Freundes nicht mehr los, und sie nagte ununterbrochen an ihrer Lippe. Das tat sie immer, wenn sie nervös war - und bei Gott, das war sie.
    Sie war kein umwerfend hübsches Mädchen - guter Durchschnitt -, aber sie hatte das gewisse Etwas, das ihre kleinen Mängel kaschierte. Es gab Mädchen, die viel schöner waren als sie, jedoch nicht über Lillys Ausstrahlung verfügten, und genau das war es, was sie so gut ankommen ließ: ihre angenehme Erscheinung und ihre sympathische Ausstrahlung.
    Sie hatte
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