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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Autoren: Frederick Kempe
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EINLEITUNG
Der gefährlichste Ort der Welt
    Wer Berlin besitzt, besitzt Deutschland.
Und wer Deutschland kontrolliert, kontrolliert Europa.
    WLADIMIR ILJITSCH LENIN ZITIERT KARL MARX 1
     
    Berlin ist der gefährlichste Ort der Welt. Die Sowjetunion möchte durch eine Operation an diesem schlimmen Ort diesen Dorn, dieses Krebsgeschwür entfernen.
    MINISTERPRÄSIDENT NIKITA CHRUSCHTSCHOW ZU
PRÄSIDENT JOHN F. KENNEDY AUF IHREM WIENER GIPFELTREFFEN
IM JUNI 1961 2
     
     
     
    CHECKPOINT CHARLIE, BERLIN
27. OKTOBER 1961, 21 UHR
     
    Im Kalten Krieg hatte es noch nie einen so gefährlichen Moment gegeben.
    Auch die nasskalte Nacht konnte etliche Berliner nicht davon abhalten, sich auf den schmalen Seitenstraßen zu versammeln, die zum Checkpoint Charlie führten. Die am nächsten Morgen erscheinenden Zeitungen schätzten ihre Zahl auf etwa fünfhundert – erstaunlich viele, wenn man bedenkt, dass sie Zeugen der ersten Schüsse eines kommenden Atomkriegs hätten werden können. Nach sechs Tagen ständig steigender Spannungen standen sich jetzt amerikanische M-48-Patton- und sowjetische T-54-Panzer direkt gegenüber, zehn auf jeder Seite, während etwa zwei Dutzend weitere ganz in der Nähe als Reserve warteten. 3
    Nur mit Schirmen und Kapuzenjacken vor dem Nieselregen geschützt, rückte die Menge auf der Suche nach den besten Beobachtungspunkten immer
weiter auf der Friedrichstraße, Mauerstraße und Zimmerstraße vor. Am Kreuzungspunkt dieser drei Straßen lag der wichtigste Ost-West-Übergang für alliierte Militär- und Zivilfahrzeuge sowie Fußgänger. Einige Beobachter standen auf den Dächern. Andere, einschließlich einer größeren Schar von Pressefotografen und Reportern, lehnten sich aus den Fenstern niedriger Gebäude, auf deren Wänden immer noch die Spuren der Granat- und Bombensplitter aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen waren.
    Auch der Reporter der CBS-Radionachrichten, Daniel Schorr, berichtete direkt vom Ort des Geschehens. Mit der ganzen Dramatik seiner Respekt einflößenden Stimme erklärte er seinen Zuhörern: »Der Kalte Krieg erreichte heute Abend ganz neue Dimensionen, als zum ersten Mal in der Geschichte amerikanische und russische Kampftruppen gegeneinander Aufstellung nahmen. Bis jetzt bildeten im Ost-West-Konflikt deutsche oder andere ›Stellvertreter‹ die vorderste Front. Heute Abend stehen sich jedoch die beiden Supermächte in Form von zehn kampfbereiten russischen Tanks und amerikanischen Patton-Panzern gegenüber, die weniger als hundert Meter voneinander entfernt aufgefahren sind …« 4
    Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt. Als ein amerikanischer Armeehubschrauber im Tiefflug über die Köpfe donnerte, um die Lage vor Ort zu sondieren, schrie ein ostdeutscher Polizist in Panik: »Deckung«, woraufhin sich die ganze Menge gehorsam auf den Boden warf. 5 In anderen Augenblicken herrschte dagegen eine eigentümliche Stille. »Die Szenerie ist verrückt und beinahe unglaublich«, berichtete Schorr. »Die amerikanischen GIs stehen neben ihren Panzern und essen aus ihrem Kochgeschirr, während Westberliner sie hinter einem Absperrseil beobachten und Salzstangen kaufen. Die ganze Szene wird von der östlichen Seite aus von Scheinwerfern taghell beleuchtet, während die sowjetischen Panzer in der Dunkelheit des Ostens fast unsichtbar sind.« 6
    In der Menge machte das Gerücht die Runde, dass ein Krieg in Berlin unmittelbar bevorstehe. »Es geht los um 3 Uhr.« Ein Westberliner Radiosender berichtete, der pensionierte General Lucius D. Clay, Präsident Kennedys neuer »Sonderbeauftragter« in Berlin, sei zur Grenze unterwegs, um im Stil eines Hollywood-Westerns die ersten Schüsse höchstpersönlich anzuordnen. In einem anderen Bericht hieß es, der Kommandeur der US-Militärpolizei am Checkpoint Charlie habe einen ostdeutschen Kontrahenten verprügelt und beide Seiten wollten jetzt den Konflikt mit Schusswaffen weiterführen. Darüber hinaus erzählte man sich, ganze sowjetische Kompanien marschierten auf Berlin
zu, um der Freiheit der Stadt ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Die Berliner waren dafür bekannt, vor allem in schlechten Zeiten besonders gern Gerüchte in Umlauf zu bringen. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Leute in dieser Menge bereits einen, wenn nicht sogar zwei Weltkriege durchgemacht hatten, hielten sie verständlicherweise alles für möglich. 7
    Clay, der im Jahr 1948 die Luftbrücke befehligt hatte, die Westberlin eine dreihunderttägige sowjetische
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