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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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kleine Summe hinterlassen. Er besorgte die ganzen Möbel bei Ikea und eBay, arrangierte alle Fotos in weißen Rahmen, lauter Schwarzweißbilder, er und Ling bei ihren verschiedenen Abenteuern. Er studierte die Zeitschrift
Dwell
, mietete Kleinbusse, um in Connecticut Antiquitäten abzuholen, strich alles selbst, baute Bücherregale ein, montierte Schreibtische – bis die Wohnung perfekt war und genau das Zuhause, das er sich immer gewünscht hatte, geimpft gegen Unordnung, unverwüstlich sauber.
    Zu dieser Ordnung und Sauberkeit möchte er zurück. Er möchte zurück zu ihrem aufgeräumten Zufluchtsort, zum Joggen vor Sonnenaufgang und der To-do-Liste am Kühlschrank, zu ihren weißen, eckigen Möbeln, die sie willkommen heißen würden, zu ihrer Kleidung, in gedämpften Farbtönen, alles gefaltet oder aufgehängt, zu ihren Mahlzeiten aus fettarmem Fleisch und dunkelgrünem Gemüse und Vollkorn, zu ihren Abschiedsküssen am Morgen nach dem Joggen, zu ihren Begrüßungsküssen am Abend, im OP -Kittel, zu der klaren Art, wie sie miteinander reden, sich nie streiten, nie lügen, nie nach der Wahrheit fragen. Er will
dort
sein, nicht hier. Nicht diese Spannung, nicht Ling, die ihm den Rücken zuwendet und nicht schläft, sich aber auch nicht zu ihm dreht, als er ins Zimmer kommt, in dieses Zimmer mit den schmalen Fenstern, dem grauen Marmorfußboden, den bröckelnden gelben Wänden und den braunen Samtvorhängen (die gleiche unzusammenpassende Ausstattung, wie er sie auf seinen Reisen immer vorfindet, in Ländern, wo der Schlaf ein Geschenk ist, wo das Bett nicht aussehen muss wie ein Weihnachtspäckchen, mit Verzierungen und Rüschen, um dies zu unterstreichen). Und vor allem will er nicht dieses fordernde Schweigen statt ihres üblichen netten Geplauders, ein unendliches, unfassbares Schweigen, das sich über alles legt, wie klamme Feuchtigkeit.
    Es hängt so undurchdringlich in der Luft, dass er es spüren kann. Man kann es nirgendwohin packen, und er kann nirgendwohin. Also steht er im Türrahmen und hört in diesem Schweigen laut sein Herz schlagen, zum Rhythmus ihrer Atemzüge. Er schließt die Augen, und in der Dunkelheit, dieser tiefen, funkelnden Dunkelheit, die hinter den Lidern lebt, sieht er alles wie eine Diashow: wie sie am Montag nach Ghana fliegen, Ling neben ihm, ihr Kopf an seiner Brust, dann der Flug nach Las Vegas im Oktober, um zu heiraten, dann ihre erste Nacht als Ehepaar, in pinkfarbenem Neonlicht. Er erinnert sich, wie er mit ihr geschlafen hat – schon ein Unterschied, das Wort
Ehefrau
in seinem Kopf für die Frau unter ihm, er legte die Hand auf ihre Wange und hörte sie sagen »Wir sind verheiratet«, und er flüsterte: »Ich weiß«. Es war nicht der Gedanke, dass sie jetzt verheiratet waren, wodurch sich alles änderte – er hatte sich nie besonders für Wörter interessiert, für Show –, sondern die Vorstellung von einem Anfang, in dem immer schon das Ende angelegt ist, etwas, wovor er seit über vierzehn Jahren davonlief.
    Fola zog ihn immer auf, weil er zu Ling »Partnerin« und nie »meine Freundin« sagte (
deine Labor-Partnerin
, sagte sie lachend). Sie hatten keinen Hochzeitstag. Sie hatten keinen Anfang. »Du bist nicht asiatisch«, sagte sie, und er liebte sie. Fait accompli. Er stellte philosophische Betrachtungen an über den kindlichen Charakter der Sprachregelung »mein Freund/meine Freundin«, über nichtssagende Formulierungen wie »sich verlieben«, über die physiologischen Grundlagen von Begehren und Attraktion, darüber, wie sinnlos es war, den Instinkt, sich fortzupflanzen, zu überhöhen und so weiter. In Wirklichkeit machte es ihm enorme Angst, wenn etwas zu Ende ging. Er verstand es nicht, wie Menschen lieben konnten und dann nicht mehr liebten. Sie liebten, und dann hörten sie auf zu lieben. Wie ein Herz aufhört zu schlagen. (Natürlich wusste er, dass es so war, aber er begriff nicht,
warum
.) Dr. Soto hatte ihnen einmal gesagt, der Grund für Beziehungen – der einzige Grund für Beziehungen, im Gegensatz zu einer Partnerschaft auf Lebenszeit – sei, sich intuitiv und schnell und nicht-lyrisch mit der Wirklichkeit der »eigenen Sterblichkeit« vertraut zu machen, sonst nichts. Einer der jungen Assistenzärzte hatte gerade seine Hochzeit abgeblasen und lief mit einem Gesicht im Operationssaal herum, bei dem man Angst bekam, demnächst würde er mit dem Skalpell sich selbst aufschneiden. Dr. Soto rief sie alle nach der OP zusammen, um eine Ansprache
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