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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition)
Autoren: Andreas Krusch
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Jerusalem, Römische Provinz Judäa, 30 n. Chr.

    Der Soldat schirmte seine Augen gegen die gleißende Sonne ab und blickte hoch in das Gesicht. Es glich einer grotesken Maske, blaurot geschwollen an Stirn und Wangenknochen, der Rücken der Nase eingedrückt, der Bart voll geronnenen Blutes. Dieser Mensch musste mehrmals gestürzt sein unter der Last seines Kreuzbalkens, dachte der Soldat und sah beiläufig den Pfad aus gestampftem Lehm hinab, den sich die drei Verurteilten vor einigen Stunden hier herauf geschleppt hatten. Zwei von ihnen waren längst tot, aber der hier ... »He, du, König der Juden!«, rief er zu dem Geschundenen hinauf. »Ich kann dich erlösen!«
    »Nein«, hauchte der Mann am Kreuz. »Nein, das kannst du nicht.«
    »Die zwei hier sehen das anders.« Der Soldat grinste breit. Er hatte den beiden anderen Gekreuzigten die Schienbeine mit kräftigen gezielten Keulenschlägen gebrochen. So hatten sie sich nicht mehr aufrichten können an ihrem Balken, um nach Luft zu schnappen, und waren schnell erstickt. Sie hatten ihn um diese Gnade gebeten. »Komm schon, dann haben deine Qualen ein Ende und die deiner Leute auch. Sie warten nun schon so lange unter der hohen Sonne mit ihren Kräutern und Ölen und dem Tuch für deinen toten Körper.«
    »Meine Qualen werden niemals enden ...«
    Etwas in der Stimme des Sterbenden berührte den Soldaten. »Wieso nicht?«, fragte er.
    Die Pause war lang, der Körper an dem Kreuz violett verfärbt vom Mangel an Atemluft. Der Mann dort oben stemmte sich gegen das Ersticken, das sein eigenes Gewicht verursachte. Für einen Moment bekam er Luft und antwortete: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende ... niemand kann mich davon erlösen, Römer.«
    »Niemand? Nicht mal dein Gott?«
    Ein Flüstern kam vom Kreuz. »Du siehst einen Baum, aber es ist kein Baum. Du hörst deinen Vater, aber es ist nicht dein Vater. Du trägst einen Namen, aber es ist nicht dein Name.«
    Der Soldat auf dem öden, kleinen Hügel schüttelte verständnislos den Kopf. »Du redest wirr, König der Juden, der Tod ist wohl schon bei dir.« Er wandte sich der nahen Stadtmauer zu. Dahinter warteten kühler Wein und junge Frauen. Fast sah er beides vor sich.
    »Wie ist dein Name?«, beendete der die Träumerei, an dessen Kreuz geschrieben stand: Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum
    »Aulus Claudius Benignus, so nennt man mich«, antwortete der Soldat.
    »Beni ...«, begann der Mann am Kreuz, »... Ben ...«
    »Benignus. Benignus!«, brüllte der Soldat hinauf. Ihre Blicke trafen sich, doch der Gekreuzigte schaute nicht diese Welt.
    »Ben«, rief er verzweifelt, »Ben ... BEN!«

    Ben schreckte aus dem Schlaf. Es war stockdunkel, und das Gefühl, nicht mehr allein im Zimmer zu sein, ließ den Jungen frösteln. Er zog seine Beine noch enger an, machte sich noch kleiner in seinem Bett unter dem Fenster.
    Die halbe Nacht schon zerrte der Wind an den Obstbäumen. Und an den Fenstern des abgelegenen Farmhauses im Osten von Montana. Doch jetzt war alles still. Zu still , dachte Ben ängstlich. Und dann dachte er an die Dämonen. Im Fernsehen hatte er sie gesehen. In einem Bericht über den Ort, an dem der Papst lebte. Der Papst und eine Gruppe von ausgebildeten Exorzisten. Männer, die Dämonen austrieben. Seitdem schlief Ben schlecht.
    Junge, das sind nicht wirklich Dämonen, hatte sein Vater es erklärt. Es sind bloß kranke Menschen, denen die Kirche zu helfen versucht. Kranke und Verrückte, weiter nichts. Und Mutter hatte beruhigend genickt.
    Doch glauben konnte Ben ihnen nicht. Nicht mehr. Denn sie hatten ihn jahrelang belogen. Er war gar nicht ihr Kind. Er war aus einem Heim. Sie hatten ihn adoptiert. Und erst vor einer Woche hatten sie es ihm gesagt. Genau an seinem elften Geburtstag.
    Ben weinte still. Meine Eltern sind Lügner, dachte der Junge und presste die Augen noch fester zu, denn etwas war da in seinem Zimmer. Er war sich ganz sicher. Jetzt kam es an sein Bett, strich sanft über seine tränennasse Wange. Dann drückte es ihm mit aller Kraft Mund und Nase zu.
    Dämonen .
    Es war Bens letzter Gedanke.

    Der frisch gewischte Linoleumboden roch nach einem Ort ihrer verfluchten Kindheit. Als ob alle schlechten Orte auch immer schlecht riechen müssten. Sie blickte nach rechts und links in den Klinikflur. Sie hatte nicht den Lift benutzt. In der Stille des Treppenaufgangs war sie hinaufgegangen. So war noch Zeit geblieben. Zeit zum Nachdenken über das, was sie hinter dieser Tür erwarten
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