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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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stark, wie etwas, das Schmerz zufügen kann; zum ersten Mal sieht er sich in seiner Geliebten wie das Wort, das er vorhin verwendet hat, als »afrikanischen Mann«. Er wird versuchen, sich aus ihr zurückzuziehen, weil er fürchtet, er könnte ihr weh tun, und aus Angst vor den Geräuschen, die an seiner Hand vorbeischlüpfen, aber Ling wird es nicht zulassen; sie krallt sich in seine Oberschenkel, seine Hüften, seinen Hintern und drückt ihn noch tiefer in sich hinein, noch weiter, tiefer, tiefer. Doch jetzt kniet er nur da und hält inne, um alles in sich aufzunehmen: Lings Körper in diesem Schlafzimmer, das nicht ihres ist, beide Gesichter verzerrt vor Trauer und Verlangen und von der Deckenbeleuchtung und den eben erst ausgesprochenen Wahrheiten. Doch die Rundungen sind seinen Fingern bekannt, die Landschaft: Knochen, Brüste, Hüften, Rippen, Schambein, Nabel, Muttermale, Muskeln, Haare, Haut, der Frauenkörper, ein
Körper
, nichts mit scharfen Kanten, nichts Steriles, alles gerundet und zerstörbar und weich und ganz und gar Heimat.
    3
    Taiwo liegt auf der Seite, als er aus dem Garten zurückkommt. Er glaubt, dass sie schläft, und macht kein Licht. Sein Handy legt er auf den kleinen Holznachttisch, neben die rosaroten Blumen. Er streift die Schuhe ab.
    »Wer war das am Telefon?«, fragt sie, ohne sich umzudrehen. »Ich habe dich durchs Fenster gehört.«
    »Meine Assistentin«, antwortet er. »Wir planen eine Ausstellung mit den Bildern, die du gesehen hast, mit den Musen, in Greenpoint. Eine Galerie-Show. Sie sind noch nicht fertig, ich weiß, aber ich glaube, dass sie mir gefallen werden. Und dir auch.« Er ist nervös. Er redet nicht weiter.
    »Sie sind phantastisch, K.«
    Sie dreht sich um und sieht ihn an, die Wange auf dem Kissen, die Hände darunter – aber er hört etwas anderes. Drei andere Wörter, mit ihrer Stimme, in seinem Kopf, nur ein kleiner Schnipsel, ihr Gedanke zwischen seinen. Er merkt, wie sich sein Herz ausdehnt, weil er gehört hat, was sie denkt, eine minimale Übertragung, aber etwas. Empfang. Drei Wörter in der Stille, der Raum zwischen den Betten, ihre leise Stimme in seinem Kopf, so wie früher. Er schaut seine Schwester an, versucht es jedenfalls in der Dunkelheit. Sie erwidert den Blick, ein trauriges Lächeln auf den Lippen. Sie sprechen beide nicht aus, was offensichtlich ist: dass sie geweint haben. Sie betrachten einander mit brennenden, verquollenen Augen.
    »Sie ist hübsch«, sagt Taiwo. »Deine Assistentin.«
    »Ich glaube, ja.« Er hört, wie sie Luft holt, der kleine Knoten in ihrer Kehle. Er erinnert sich an dieses Gefühl ganz am Anfang ihrer Pubertät, ein so spezifisches Gefühl, dass es seinen eigenen Geruch hat: Lotion für Teenager, Kiwi-Erdbeere. Eifersucht. Oder Besitzanspruch. Besitzanspruch und Verlegenheit, was sie gar nicht hätte fühlen müssen (ihm war es ja umgekehrt genauso gegangen, er hatte sich als Taiwos Besitz gefühlt. Etwas, das ihr und zu ihr gehörte. Boxset.
    »Magst du sie?«, fragt Taiwo.
    »Ich glaube, ja«, sagt Kehinde.
    Sie reibt sich schläfrig die Augen. »Das habe ich mir irgendwie schon die ganze Zeit gedacht.«
    Der Knoten löst sich. Sie legt sich anders hin, liegt jetzt auf dem Rücken, die Hände auf den Rippen. Er bleibt, wo er ist, sitzt aufrecht am Bettrand ihr gegenüber, zu erschöpft, um sich zu rühren. Einen Moment lang schließt er die Augen und hört sie wieder, die drei Wörter, ihre leise Stimme, ganz ähnlich wie seine. Fast zu ähnlich, denkt er. Hört er seine Schwester oder einfach nur sich selbst? Sein Herz will schon abstürzen, der kleine Tauchflug des Drachen. Er wartet schon so lang darauf, Taiwo wieder zu hören. Irgendetwas, irgendeinen Gedanken, aber besonders diesen Satz, den er schon seit Monaten glauben will, aber nicht zu glauben wagt. Ist es seine eigene heisere Stimme, die er gehört hat, und nicht Taiwos? Drei Wörter in der Stille. Sein Freispruch, nicht ihrer? Er öffnet die Augen, will ihr die Frage stellen, merkt dann aber, dass sich ihre Augen geschlossen haben.
    Sie schläft.
    Er beugt sich vor, um sie anzuschauen, die Ellbogen auf den Knien. Ihr Gesicht im Mondlicht ist unglaublich still. Als sich nach einer Stunde über ihrer Oberlippe ein leichter Schweißfilm bildet, steht er auf und wischt ihn weg. Er ist so müde. Er sitzt auf dem Bett bei seiner Schwester. Er streicht über ihre Dreadlocks, ein Wirrwarr aus Schlangen. Er küsst ihre Hände, und er flüstert: »Verzeih mir.« Sein
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