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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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Körper ist so erschöpft vom Tag, er legt sich hin.
    4
    Später, nur ein bisschen später, eine Stunde vor Sonnenaufgang, wacht Taiwo auf wie aus einem Traum, wie wenn man weinend und angekleidet ins Bett geht; findet Kehinde neben sich, sein Kopf bei ihren Füßen. Sie setzt sich hin und schaut ihn an, er hat sich auch nicht ausgezogen, seine Hand am Mund, bei dem Bart, den er sich hat wachsen lassen. Ganz leise steht sie auf und geht zum Badezimmer, aber dann denkt sie plötzlich, er hat etwas gesagt, und dreht sich um. Er schnarcht leise, bewegt die Lippen. Drei Wörter, denkt sie, vielleicht. Sie tritt ans Fußende des Bettes und blickt auf ihn hinunter. Seine Augen sind immer noch verquollen, wie bei einem Kind, das lang geweint hat. Sie betrachtet die Hand, die mit der Handfläche nach oben bei seinem Kopf liegt. Sie berührt ganz vorsichtig die Narbe, das T, aber seine Hand schließt sich, ein Reflex, und umklammert ihren Daumen. Sie rührt sich nicht, will ihn nicht wecken. Die Vögel im Garten beginnen ihr Klagelied. Sie denkt es, obwohl der Gedanke weh tut, obwohl sie ihn noch nicht aussprechen kann. Seine Finger entspannen sich, und sie zieht ihren Daumen weg. Sie steht nur da und schaut auf sein Gesicht, bis sie es sieht – fünfzehn Sekunden, nicht länger. Sein Lächeln im Schlaf.
    5
    So kommt der Morgen (Tod dem fahlen Grau usw.). Mit dem Gefühl, dass etwas fehlt, schlägt Sadie die Augen auf. Fola ist nicht da, aber ihr Geruch liegt noch in der Luft. Die Schmetterlinge haben ebenfalls ihre Brust verlassen. Erstaunt und mit einem Hauch von Misstrauen spürt sie die Leere in ihrem Inneren. Ihr Hemd ist nassgeschwitzt. Sie schaut auf den Wecker neben dem kleinen gerahmten Foto und muss über das Datum auf der analogen Uhr lachen. Weihnachten. Keine Kastanien, keine gebackenen Bohnen, keine Schlittenglöckchen. Rosarote Blumen, Palmen, Bülbüls, ein Chalet wie in Aspen. Sie stellt den Rahmen aufrecht hin, versucht, das Foto gerade hinzuschieben, indem sie auf den Rahmen klopft. Hilft nichts. Ein grässliches Bild. Aber vermutlich das letzte Familienfoto, auf dem sie alle sechs zusammen sind. Das wird ihr jetzt klar. Und jeder blickt in eine andere Richtung, ihr Vater in die Kamera, sie schaut auf seinen Kopf hinunter, ihre Mutter auf ihr Tutu, ihr Bruder zu ihrer Mutter, die Zwillinge schauen auf irgendetwas, alles verschwommen, alle da.

Sieben
    Mr Lamptey sitzt stumm am Rand des Gartens, seine Beine feucht vom Tau, sein Joint geht zur Neige, der safrangelbe Stoff ist ersetzt worden von schwerem schwarzem Leinen, dunkel im Schatten, also noch schwärzer. Er tut dies seit Montag, seine drei Tage der Trauer: Er sitzt am Rand des Rasens bei der Mauer und verabschiedet sich vor Sonnenaufgang wieder, und die Frau, die um Viertel nach sechs in die Küche kommt, bemerkt ihn nicht. Sie kommt nicht heraus in den Garten, sie schaut sich nicht um, sie steht nur am Tisch und macht sich etwas zu trinken, das weiche, hübsche Gesicht erstarrt von Schmerz und Trauer; vom Schock ist es hart geworden. Der Hund ist am Dienstag mitgekommen, aber er fand es zu trist und blieb deshalb lieber am Strand, als Mr Lamptey sich in der Abenddämmerung wieder auf den Weg machte. Die Vögel, die er am Montag im Brunnen gesehen hat, sind noch nicht wieder da, also trauert er allein.
    In gewisser Weise ist er gekommen, um die weiche Frau zu sehen, um ihr mit seinen bläulich getrübten Augen einen Morgengruß zu bringen, weil er das Gefühl hat, dass seine Gegenwart ihr vielleicht eine Botschaft vermitteln könnte, dass nämlich nicht alles zu Ende ist, dass sie nicht allein ist. (In Wirklichkeit ist er derjenige, der allein ist, was ganz untypisch für ihn ist. Ihm fehlt der Mann in der Glasterrasse, die er nie mochte. Ihm fehlt das Winken mit der Serviette, die Brille, der verschüttete Kaffee auf der Hose, der Tanz.) Nun sitzt er mit seinem Joint hinten im Garten und pafft betrübt, streicht langsam über das Gras. Er wüsste gern, ob der Mann sie je bemerkt hat, die üppige Marihuana-Pflanze hinter den rosaroten Blüten? Garantiert nicht. Er lacht traurig. Schließt die Augen und atmet aus. Sonnenaufgang. Zeit, nach Hause zu gehen.
    Er denkt, dass er noch ein paar Minuten warten sollte, um sie noch einmal zu sehen, ehe er für immer geht. Da hört er, wie draußen in der Einfahrt ein Auto vorfährt, das Knirschen der Reifen auf dem Kies,
piep-piep
. Er öffnet die Augen, lacht wieder. Was ist das? Reglos wartet er, findet
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