Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
Vom Netzwerk:
durch die richtige Verwendung des entsprechenden Werkzeugs; das gilt für den Maler, die Mutter, den Amateur-Architekten – aber trotzdem ist es ein Wunder, wenn man es so vor sich sieht.)
    Sein Haus.
    Sein schönes, funktionales, elegantes Haus, das ihm als Ganzes erschienen ist, als Gesamtkonzept, in einem einzigen Augenblick, wie eine befruchtete Eizelle, die unerklärlich aus der Dunkelheit herausgeschleudert wird und einen vollständigen genetischen Code enthält. Ein logisches System. Die vier Quadranten: eine Verbeugung vor der Symmetrie, vor seiner Ausbildung, vor Millimeterpapier, vor dem Kompass, ewige Reise, ewige Rückkehr und so weiter, ein grauer Innenhof, nicht grün, glänzender Stein, Schieferplatten, Beton, sozusagen eine Widerlegung der Tropen, der Heimat. Das heißt, die Heimat neu gedacht, alle Linien klar und gerade, nichts üppig, weich oder grün. In einem einzigen Augenblick. Alles da. Hier und jetzt. Jahrzehnte später in einer Straße in Old Adabraka, einer verfallenden Vorstadt aus Kolonialvillen, weißer Stuck, streunende Hunde. Das Haus ist das Schönste, was er je geschaffen hat –
    außer Taiwo
, denkt er plötzlich. Der Gedanke ein Schock. Woraufhin Taiwo selbst vor ihm erscheint – die Wimpern ein schwarzes Dickicht, die Wangenknochen gemeißelter Fels und Edelsteine als Augen, ihre rosaroten Lippen, die gleiche Farbe wie das Innere eines Muschelhorns, unmöglich schön, ein unmögliches Mädchen – und seine »Einfühlsamer Ehemann«-Szene stört. Dann löst sie sich in Rauch auf. Das Haus ist das Schönste, was er je
allein
geschaffen hat, korrigiert er sich.
     
    Dann geht er den Verbindungsgang zum Wohntrakt weiter, durch die Tür ins Wohnzimmer, durch das Esszimmer, zur Glasveranda und zur Schwelle.
    Wo er stehen bleibt.

Zwei
    Später am Morgen , als es angefangen hat zu schneien und der Mann aufgehört hat zu sterben und ein Hund den Tod gerochen hat, wird Olu ohne große Eile das Krankenhaus verlassen, sein Blackberry ausschalten, den Kaffee abstellen und zu weinen anfangen. Er wird keine Ahnung haben, wie der Tag in Ghana angefangen hat, er wird Meilen und Ozeane und Zeitzonen weit entfernt sein (und noch andere Arten von Entfernungen, die schwerer zu überwinden sind, wie gebrochene Herzen und Wut und versteinerter Schmerz und all die Fragen, die zu lange ungefragt oder unbeantwortet blieben, und Generationen von Vater-Sohn-Schweigen und Scham), während er Sojamilch in den Kaffee rührt, in einer Krankenhauscafeteria, mit verschwommenem Blick, unausgeschlafen, hier und nicht da. Aber er wird es sich vorstellen – sein Vater, dort, tot in einem Garten, ein Mann, gesund, siebenundfünfzig, in bemerkenswert guter Verfassung, kleiner-runder Bizeps unter der Haut seiner Oberarme, kleiner-runder Bauch unter seinem Unterhemd, einem Fruit of the Loom-Feinripp-Unterhemd, sehr weiß auf dunkelbraun, dazu diese lächerlichen MC Hammer-Hosen, die er, Olu, hasst und die Kweku liebt – und obwohl er es versucht (er ist Arzt, er weiß Bescheid, er kann es nicht ausstehen, wenn seine Patienten ihn fragen »Was ist, wenn Sie sich irren?«), wird er den Gedanken nicht los.
    Dass die Ärzte sich irren.
    Dass solche Dinge nicht »manchmal passieren«.
    Dass dort etwas
passiert
ist.
    Kein Arzt mit seiner Erfahrung und erst recht kein so außergewöhnlich guter Arzt – und man kann sagen, was man will, aber der Mann war erstklassig in seinem Beruf, selbst seine Widersacher geben das zu, ein »Künstler am Skalpell«, ein Chirurg, der seinesgleichen sucht, ein ghanaischer Carson und so weiter – kein Arzt dieses Kalibers hätte sämtliche Anzeichen eines sich so langsam aufbauenden Herzinfarkts übersehen können. Typische Koronarthrombose. Null Problem. Schnell handeln. Und er hätte genug Zeit gehabt, eine halbe Stunde, und das scheint eher untertrieben, nach allem, was Mom erzählt, dreißig Minuten, um zu handeln, um zur »Ausbildung zurückzukehren«, wie Dr. Soto sagen würde, Olus Lieblings-Oberarzt, sein Xicano-Hausheiliger. Symptome durchgehen, Diagnose erstellen, aufstehen, ins Haus gehen, die Frau aufwecken, und falls die Frau nicht Auto fahren kann – wovon auszugehen ist, sie kann nicht lesen – selbst ans Steuer setzen und sich in Sicherheit bringen. Und Pantoffeln anziehen, Herrgott nochmal.
    Aber er tat nichts dergleichen. Ging nichts durch, erstellte nichts. Durchquerte nur eine Glasveranda, fiel ins Gras. Ohne ersichtlichen Grund – oder aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher