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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht
Autoren: Blazon Nina
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das haus der träume
    U nd er atmet wirklich?«, fragte Mo.
    »Wäre ziemlich seltsam, wenn nicht«, antwortete Night trocken. »Schlafende Menschen atmen für gewöhnlich. Auch wenn man es bei dem da kaum sieht.«
    Sie ließ den Blick über das Lager des Jungen schweifen, dann gähnte sie und streckte sich genüsslich. Im Rechteck des Fensters konnte Mo die Silhouette ihrer Freundin vor dem Nachthimmel gestochen scharf erkennen: die kräftigen Arme und die Hände, die erst zitternd vor Spannung in der Luft verharrten und sich dann, beim Herabsinken, zu lockeren Fäusten ballten. Night bemerkte Mos Blick, drehte sich zu ihr um und grinste. Ihre schwarze Haut verschmolz mit dem Halbdunkel des Zimmers. Dafür blitzten ihre Zähne umso heller. »Brauchst keine Angst vor ihm zu haben, Mondmädchen«, sagte sie. »Zumindest nicht, solange ich in der Nähe bin.«
    »Ich habe keine Angst«, erwiderte Mo leise.
    Aber die ganze Wahrheit war es natürlich nicht.
    »Gut, wir haben ihn uns angeschaut«, flüsterte Cinna aus der anderen Ecke des Zimmers. »Jetzt lasst uns wieder gehen Ich finde es unheimlich hier.«
    Night lachte. »Im Augenblick kann er uns nichts tun.«
    Mit diesen Worten ging sie geradewegs zum Bett. Ihre Finger schlossen sich um das Handgelenk des Schlafenden. Er reagierte nicht darauf, als sie seinen Arm anhob, aber Mo wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    »Du wirst ihn noch aufwecken«, zischte Cinna.
    Night ließ die Hand einfach los. Sie fiel auf die Brust des Jungen und blieb dort liegen. Atemlos starrten Mo und Cinna den Schlafenden an, aber er regte sich nicht.
    »Seht ihr?«, sagte Night trocken. »Wir können ihn nicht wecken. Ich wette, ich könnte sogar auf seiner Brust herumtanzen, er würde es nur für einen schlechten Traum halten. Doch vermutlich schläft er ohnehin so tief, dass er ebenso wenig träumt wie ein Toter.«
    Cinna wirkte nicht so, als würde diese Vorstellung sie beruhigen.
    »Na gut«, meinte Night. »Ihr habt ihn ja gesehen. Die Lektion ist einfach: Wenn ihr einen von denen da findet, haltet euch weg von ihnen und hört nicht auf die Stimmen. Sie sind gefährlicher als die Gespenster, vergesst das nicht. Keine Regel von der Ausnahme. Und jetzt lasst uns abhauen. Die anderen warten ohnehin schon auf uns.«
    Sie wandte sich von dem Jungen ab, huschte zum Fenster, zog sich mit einem geschmeidigen Schwung auf das Fensterbrett und von dort aus auf einen Ast des Baumes, der vor dem Haus stand. Sie mochte drei Leben alt sein, aber beim Klettern machte ihr immer noch keiner etwas vor.
    Cinna trat ebenfalls zum Fenster. Nur Mo verharrte reglos neben der Zimmertür. Der ganze Raum war erfüllt von Träumen. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sie sogar hören – dünne Stimmen, die von Dingen erzählten, die ihr fremd waren.
    »Hör nicht auf die Stimmen«, wiederholte sie flüsternd Nights Ermahnung. Aber es war kaum möglich, das verlockende Wispern zu ignorieren.
    Mitschüler. Motorrad. Werkstatt. Austauschjahr.
    Sie fröstelte und riss die Augen wieder auf. Cinna hatte recht. Es war unheimlich, in einem Haus zu verweilen, in dem sich Träume wie in einem Spinnennetz fingen und im Todeskampf herumzappelten. Und noch weniger durfte sie diesen Traumworten lauschen. Auch ohne Nights Warnung hätte sie gespürt, dass diese Worte besondere Kräfte hatten, sie konnten einen verführen, schläfrig und willenlos machen und ins Verderben stürzen.
    Andererseits – da war immer noch dieser Junge, von dem sie sich fernhalten musste.
    Im Licht des Vollmonds war die Farbe seines Haares nicht eindeutig zu erkennen. Jedenfalls war es dunkler als das von Mo. Ihres war zudem glatt, seines dagegen ungezähmt und halblang. Eine Locke berührte seine Wimpern. Vielleicht waren seine Haare im Tageslicht braun, vielleicht schimmerten sie aber auch in einem satten Rot – so wie bei ihrer Schwester Cinna.
    Mo schluckte und wagte einige Schritte ins Zimmer.
    Jetlag, Foto, Brüder, Zweiherz, wisperte es. Mutter, Anruf, Abschied.
    Als wäre sie nun doch in das klebrige Netz fremder Gedanken getappt, konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben.
    Selbst im Liegen fiel auf, dass der Junge groß und muskulös war. Und staunend nahm sie wahr, dass sie ihn auf eine herbe Weise hübsch fand. Spannung lag auf seinen Zügen, seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen und sein Mund war fest verschlossen, als wollte er ein Wort festhalten, das ihm im Traum entflohen war.
    Draußen raschelte Blattwerk,
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