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Microsklaven

Microsklaven

Titel: Microsklaven
Autoren: Douglas Coupland
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1 Microsklaven
FREITAG Frühherbst 1993
    H eute morgen um kurz nach 11:00 hat sich Michael in seinem Büro eingeschlossen und ist seitdem nicht wieder rausgekommen.
    Bill (Bill!) hat Michael per E-Mail einen höllisch fiesen Flame-Brief geschickt, in dem er sich nur über einen Code beschwerte, den Michael geschrieben hat. Michael benutzt immer den Index der Bloom-County-Cartoons, der bei ihm an der Tür klebt, und er ist mit Sicherheit der sensibelste Programmierer im Haus Sieben - Kritik kann er gar nicht gut vertragen. Warum Bill es ausgerechnet auf Michael abgesehen hat, können wir uns auch nicht recht erklären.
    Vielleicht war es eine Stichprobe, damit keiner aus der Reihe tanzt. Bill ist so klug. Bill ist weise. Bill ist freundlich. Bill ist gütig.
    Bill, bitte sei mein Freund!
    I n unserem Stockwerk ist bis dahin niemand von Bill persönlich geflamet worden. Die Geschichte hatte etwas Glamouröses, und wir waren ein bißchen eifersüchtig. Ich versuchte, Michael das zu erklären, aber er war am Boden zerstört.
    Kurz vor dem Mittagessen stand er wie ein Häufchen Elend vor meinem Büro. Seine Haut war bleich wie Hefeteig, und sein Toppy's-Haarschnitt troff vor Schweiß, der kleine feuchte Flecken auf dem mit pflaumenfarbenen Sprengsein durchsetzten Austerngrau des Microsoft-Teppichbodens hinterließ. Er reichte mir einen Ausdruck von Bills Memo und trottete dann wieder in sein Zimmer zurück, wo er sich seitdem vergraben hat. Er geht nicht ans Telefon, beantwortet keine E-Mail und macht die Tür nicht auf. An den Türgriff hat er ein »Bitte nicht stören«-Schild gehängt, das er letztes Jahr bei der Macworld Expo aus dem Boston Radisson hat mitgehen lassen. Todd und ich haben versucht, vom Rasen aus einen Blick in sein Fenster zu werfen, aber seine Jalousie war geschlossen, und ein Gärtner scheuchte uns mit einem Grasschnipsel-Regen aus seinem Laubsauger davon.
    Der Rasen bei Microsoft wird alle zehn Minuten gemäht. Er sieht aus wie grüne Legoplatten.
    Schließlich, morgens um etwa 2:30, machten Todd und ich uns Sorgen, weil Michael die ganze Zeit nichts gegessen hatte, und so fuhren wir zum 24-Stunden-Safeway in Bellevue. Dort kauften wir »flaches« Essen, das wir unter Michaels Tür durchschieben konnten.
    Bei Safeway war niemand außer uns und ein paar anderen Microsoft-Leuten, die genauso waren wie wir - hypersensible Geeks auf der Suche nach dem richtigen Snack. Weil all die reichen Nerds in dieser Gegend wohnen, ist in Redmond und Bellevue fast immer alles vorrätig. Nerds kriegen, was sie wollen, wann sie es wollen, und wenn es nicht sofort zu haben ist, drehen sie durch. Nerds sind immer auf bestimmte Dinge fixiert; daran liegt es, glaube ich. Aber genau diese Detailbesessenheit macht sie so gut beim Programmieren: eine Zeile zur Zeit, eine Zeile unter Millionen.
    A ls wir um drei Uhr morgens zum Haus Sieben zurückkehrten, schufteten immer noch ein paar Leute vor sich hin. Unsere Gruppe muß laut Plan (RTM: Release to Manufacturing) schon in elf Tagen liefern. (Nicht weitersagen: Das schaffen wir nie.)
    Das Licht in Michaels Büro brannte, aber als wir anklopften, machte er wieder nicht auf. Wir hörten seine Tastatur klappern, also war er zumindest noch am Leben. Hier war eine Art Turing-Test angebracht: Konnten wir sicher sein, daß das Wesen hinter der Tür wirklich menschlich war? Wir schoben ihm Kraft-Scheibletten, Premium-Plus-Cracker, Pop-Tarts, Fruchtschnitten und Freezie-Pops hinein. Todd fragte mich: »Glaubst du, daß Geeks irgendwas davon nicht essen dürfen?«
    In dem Moment stieß Karla im Büro gegenüber einen Schrei aus und warf uns von ihrer Türschwelle aus einen wütenden Blick zu. Ihre Augen hinter der runden Brille waren ganz rot und wund. Sie sagte: »Ihr bestärkt ihn doch nur«, als würden wir einen Waschbären oder so was füttern. Ich glaube nicht, daß Karla je schläft.
    Sie grunzte und knallte ihre Tür zu. Türen sind außerordentlich wichtig für Nerds.
    Wie auch immer, zu diesem Zeitpunkt waren Todd und ich wirklich müde. Wir fuhren jeder in seinem eigenen Auto zum Schlafen nach Hause, quer über das Campusgelände - ein Nerd-Paradies aus 22 Gebäuden, eingeschlossen von 30 Meter hohen Nutzholzpflanzungen, in den Straßen eine Stille wie in einer Gebärmutter: Hier nehmen die sehnlichsten Träume unserer Kultur Gestalt an.
    Über dem Rasen des Fußballplatzes vor den Hauptgebäuden hing Nebel. Ich dachte an die E-Mail und an Bill und all das, und ich hatte
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