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Die Voegel

Die Voegel

Titel: Die Voegel
Autoren: Daphne Du Maurier
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die Bedrohung am stärksten ist, werden sie noch mehr Leben aufs Spiel setzen müssen, nämlich dann, wenn sie zu Gas greifen. Der ganze Viehbestand, selbst der Boden, alles würde vergiftet werden. Wenn nur keine Panik ausbricht! Das ist das Wichtigste.
    Wenn nur alles ruhig Blut bewahrt! Die BBC hatte schon Recht, uns zu ermahnen.

    Oben in den Schlafzimmern war alles ruhig. Kein Kratzen mehr, kein Hacken auf die Fenster. Eine Ruhepause in der Schlacht. Eine Umgruppierung der Kräfte.
    Hieß es nicht immer so in den Kriegsberichten, vor ein paar Jahren?
    Der Sturm war nicht abgeflaut. Er konnte ihn noch immer in den Schornsteinen tosen hören. Und auch die schweren Brecher unten an der Küste. Da fiel ihm ein, dass jetzt Ebbe sein musste. Vielleicht hing die Ruhe in der Schlacht mit der Ebbe zusammen. Es musste irgendein Gesetz geben, dem die Vögel gehorchten, sie mussten einem Trieb folgen, der durch die Gezeiten und den Ostwind bestimmt wurde.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. Beinahe acht. Schon seit einer Stunde musste das Wasser im Fallen sein. Das erklärte die Ruhepause. Die Vögel griffen mit der Flut an. Vielleicht war es im Inland anders. Aber hier an der Küste schienen sie diesen Rhythmus einzuhalten. Er berechnete die Zeitspanne, die ihnen blieb. Sie hatten also sechs Stunden ohne Angriff vor sich. Wenn die Flut um ein Uhr zwanzig in der Frühe einsetzte, würden die Vögel zurückkommen ...
    Es blieben ihm zwei Dinge zu tun. Das Erste war, zu ruhen; auch Frau und Kinder mussten so viel Schlaf wie möglich haben bis in die frühen Morgenstunden.
    Das zweite war, hinauszugehen und nachzuschauen, ob das Telefon noch in Betrieb war, damit man wenigstens über das Amt Neues erfahren konnte.
    Er rief leise nach seiner Frau, die gerade die Kinder zu Bett gebracht hatte. Sie kam ihm auf der Treppe entgegen, und er teilte ihr flüsternd seine Überlegungen mit.
    »Du darfst nicht fortgehen«, sagte sie erregt, »du darfst nicht fortgehen und mich mit den Kindern allein lassen. Das ertrag ich nicht!«
    Ihre Stimme war schrill geworden, hysterisch. Er beschwichtigte sie, redete ihr gut zu.

    »Schon gut, schon gut«, sagte er. »Ich warte bis morgen früh. Dann können wir auch um sieben Uhr die Nachrichten hören. Aber morgen, wenn wieder Ebbe ist, versuche ich zum Hof durchzukommen. Sie helfen uns vielleicht mit Brot und Kartoffeln und auch Milch aus.«
    Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, schmiedeten Pläne für diesen Notfall.
    Heute Abend hatten sie auf dem Hof natürlich nicht melken können. Die Kühe würden am Tor stehen, sich wartend auf dem Hofplatz drängen; denn das ganze Anwesen würde verrammelt und mit Brettern vernagelt sein wie hier ihr Häuschen.
    Falls ihnen dazu überhaupt noch Zeit geblieben war, heißt das. Er musste an den Bauern denken, wie er ihm vom Auto aus zugelächelt hatte. Eine Jagdpartie hatte er bestimmt nicht veranstaltet. Nicht an diesem Abend.
    Die Kinder waren eingeschlafen. Seine Frau saß noch angezogen auf ihrer Matratze. Sie sah ihn forschend mit ängstlichen Augen an.

    »Was hast du vor?«, fragte sie flüsternd.
    Er schüttelte beruhigend den Kopf. Sachte, vorsichtig öffnete er die Hintertür und schaute hinaus.
    Es war pechschwarz draußen. Der Wind blies heftiger noch als zuvor, kam eisig, in gleichmäßigen, erbarmungslosen Stößen herangefegt. Er scharrte mit dem Stiefel über die Stufe vor der Tür. Sie lag voller Vögel. Tote Vögel überall. Unter den Fenstern, an den Wänden. Es waren die Selbstmörder, die Sturzflieger, die sich das Genick gebrochen hatten. Von den lebenden keine Spur; sie waren mit der Ebbe meerwärts geflogen. Die Möwen würden jetzt wieder auf den Wellen reiten wie am Vormittag. In der Ferne, auf dem Hügel, wo vor zwei Tagen der Traktor gefahren war, brannte etwas. Eins der abgestürzten Flugzeuge; das Feuer hatte, durch den Sturm entfacht, einen Heuschober in Brand gesetzt.

    Er betrachtete die Vogelleichen; ihm kam der Einfall, dass, wenn er sie auf den Fenstersimsen aufeinander stapelte, dies ein zusätzlicher Schutz beim nächsten Angriff wäre. Vielleicht half es nicht viel, aber immerhin etwas. Die toten Vögel mussten erst mit Klauen und Schnäbeln von den lebenden gepackt und beiseite gezerrt werden, bevor diese einen Halt auf den Gesimsen fanden und auf die Fensterscheiben einhacken konnten.
    Er machte sich in der Finsternis an die Arbeit. Es war unheimlich; die Berührung ekelte ihn. Die Vogelleichen waren noch warm, ihr
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