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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod
Autoren: Terry Pratchett
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Dies ist das von flackerndem Kerzenschein erhellte Zimmer mit den Lebensuhren – zahllose Regale, gefüllt mit kleinen Sanduhren, eine für jeden Lebenden. Der Sand darin rinnt von der Zukunft in die Vergangenheit, und das leise Zischen der einzelnen Körner vereint sich zu lautem Tosen.
    Dort ist der Herr des Zimmers; er wandert durch die Kammer und wirkt recht nachdenklich. Sein Name lautet Tod.
    Natürlich handelt es sich nicht um irgendeinen Tod, sondern einen ganz besonderen Tod. Sein spezieller Wirkungskreis ist – nun, kein Kreis, sondern die flache runde Scheibenwelt. Sie ruht auf den Rücken von vier riesigen Elefanten, die wiederum auf der gewaltigen Sternenschildkröte Groß-A'Tuin stehen, und von ihrem Rand ergießt sich ein ewiger Wasserfall in die Unendlichkeit des Alls.
    Wissenschaftler haben errechnet, daß die tatsächliche Existenzchance für etwas derart Absurdes ungefähr eins zu einer Million beträgt.
    Magier hingegen wissen aus Erfahrung, wie oft Unmögliches und Verrücktes zur täglichen Norm werden können.
    Tod klickt auf knöchernen Zehen über die schwarzweißen Fliesen und murmelt unter seiner Kapuze, während Skelettfinger über die Regale mit den Lebensuhren tasten.
    Schließlich nickt er zufrieden, greift vorsichtig nach einem der gläsernen Behälter und trägt ihn zur nächsten Kerze. Er hält ihn ins Licht, beobachtet aufmerksam das winzige Objekt im kristallenen Gefäß.
    Der Blick leerer glühender Augenhöhlen gilt der Weltschildkröte, die durch die Tiefen des Alls wandert, ihr Panzer von Kometen und Meteoriten zerkratzt. Tod weiß: Eines Tages wird selbst Groß-A'Tuin sterben. Welche Herausforderung!
    Schließlich richtet er seine Aufmerksamkeit auf das blaugrüne Schimmern der Scheibenwelt, die sich langsam unter ihrer winzigen Satellitensonne dreht.
    Das Licht des Tages gleitet zu der langen Gebirgskette, die man Spitzhornberge nennt. In jenem Massiv gibt es viele tiefe Täler, steile Grate und – allgemein gesprochen – weitaus mehr Geographie, als ihm selbst lieb ist. Es hat sein eigenes, ganz spezielles Wetter, das zum größten Teil aus Schrapnellregen, Peitschenwind und einer gehörigen Portion Blitz und Donner besteht. Manche Leute behaupten, es liege daran, daß die Spitzhornberge Heimat alter, ungebändigter Magie sind. Nun, die Leute reden eben viel…
    Tod zwinkert, hält nach Einzelheiten Ausschau und sieht ein weites Grasland an den drehwärtigen Hängen der Berge.
    Jetzt sieht er einen besonderen Hügel.
    Jetzt sieht er ein Feld.
    Jetzt sieht er einen laufenden Jungen.
    Jetzt beobachtet er.
    Seine Stimme klingt wie bleierne Tafeln, die auf rauhen Granit herabfallen, als er sagt: JA.
     
    Zweifellos verbarg sich irgend etwas Magisches in dem unebenen hügeligen Gelände. Aufgrund der seltsamen Färbung, die jener ungreifbarer Zauber der örtlichen Flora verlieh, bezeichnete man die Region als oktarines Grasland. Es war einer der wenigen Orte auf der ganzen Scheibenwelt, die das Wachstum reannueller Pflanzen ermöglichten.
    Solche Pflanzen wachsen rückwärts in der Zeit. Man bringt die Saat in diesem Jahr aus und erntet in der Vergangenheit.
    Morts Familie war darauf spezialisiert, Wein aus reannuellen Trauben herzustellen. Die erlesenen Produkte ihrer Arbeit genossen gerade bei Wahrsagern einen ausgezeichneten Ruf, denn sie versetzten Hellseher und ähnliche Zeitgenossen in die Lage, einen Blick in die Zukunft zu werfen. In diesem Zusammenhang gab es nur ein Problem: Man bekam zuerst den Katzenjammer und mußte anschließend eine Menge trinken, um ihn loszuwerden.
    Die meisten reannuellen Bauern waren groß und kräftig gebaut, und außerdem neigten sie dazu, sich selbst aufmerksam zu beobachten und ständig den Kalender im Auge zu behalten. Wer vergißt, gewöhnliche Saat auszubringen, verliert nur die Ernte. Doch wer es versäumt, Getreide zu säen, das bereits vor zwölf Monaten geerntet wurde, bringt das ganze Gefüge der Kausalität durcheinander und muß damit rechnen, in die eine oder andere peinliche Situation zu geraten.
    Nun, die Peinlichkeiten beschränkten sich nicht nur darauf: Mort, jüngster Sohn der Familie, besaß die erstaunliche Gabe, immer wieder für Verlegenheit zu sorgen. Er begegnete den Erfordernissen des Gartenbaus nicht annähernd mit dem nötigen Ernst, offenbarte in diesem Zusammenhang ein Geschick, das sich kaum von dem eines toten Seesterns unterschied. Oh, er ging seinen Verwandten durchaus zur Hand, aber er zeigte dabei jene
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