Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Voegel

Die Voegel

Titel: Die Voegel
Autoren: Daphne Du Maurier
Vom Netzwerk:
erblickte er über sich in der Luft den weißen Seeraben, bereit zum Niederstoßen. Die Möwen kreisten, zogen sich zurück und schnellten, eine nach der anderen, gegen den Wind in die Luft empor. Nur der Seerabe blieb. Als einziger Vogel über ihm in der Luft. Plötzlich falteten sich seine Flügel eng an den Leib. Er fiel herab wie ein Stein. Nat schrie auf; da öffnete sich die Tür. Er taumelte über die Schwelle, seine Frau warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür.

    Sie hörten das schwere Aufschlagen des Vogels.
    Seine Frau untersuchte die Wunden. Sie waren nicht tief. Die Handrücken und Gelenke hatten am meisten abbekommen. Hätte er nicht die Mütze aufgehabt, wäre auch sein Kopf übel zugerichtet worden. Und dieser Seerabe ... er hätte ihm den Schädel spalten können.
    Die Kinder weinten. Sie hatten das Blut an den Händen des Vaters gesehen.
    »Ist schon gut«, tröstete er sie, »war ja nicht schlimm, nur ein paar Schrammen. Spiel ein bisschen mit Johnny, Jill. Mama wird mir die Kratzer auswaschen.«
    Er zog die Tür der Spülküche hinter sich zu, damit die Kinder nicht zuschauen konnten. Seine Frau war leichenblass. Sie drehte den Wasserhahn über dem Ausguss an.
    »Ich hab' sie gesehen«, flüsterte sie, »gerade als Jill mit Trigg kam, fingen sie an, sich zusammenzuscharen. Ich machte die Tür fest zu. Sie klemmte, deshalb konnte ich nicht gleich öffnen, als du klopftest.«
    »Gottlob, dass sie gewartet haben, bis ich allein war«, sagte er, »um Jill wäre es sofort geschehen gewesen.«
    Während sie seine Hände und seinen Nacken verband, flüsterten die beiden verstohlen, um die Kinder nicht zu beunruhigen.
    »Sie fliegen jetzt zu Tausenden landeinwärts«, sagte er. »Dohlen, Krähen und all die größeren Vögel. Ich hab sie von der Bushaltestelle aus gesehen. Sie ziehen zu den Städten.«
    »Aber was werden sie tun, Nat?«
    »Angreifen. Sie werden über jeden Einzelnen herfallen, der sich auf der Straße blicken lässt. Dann werden sie versuchen, durch die Fenster und Schornsteine einzudringen.«

    »Warum unternimmt denn die Regierung nichts dagegen? Warum setzt man nicht Militär ein, Maschinengewehre, irgendetwas ?«

    »Dazu ist es zu spät. Kein Mensch ist vorbereitet. Wir wollen hören, was die Sechs-Uhr-Nachrichten bringen.«
    Nat ging wieder in die Küche, seine Frau folgte ihm. Johnny spielte friedlich auf dem Fußboden. Jill sah ängstlich drein.
    »Ich kann die Vögel hören«, sagte sie, »horch, Papa.«
    Nat lauschte. Dumpfe Schläge erklangen von den Fenstern, von der Tür her.
    Streifende Flügel und Krallen, gleitend, kratzend, suchten einen Weg hinein. Das scharrende Geräusch vieler zusammengepresster Körper auf den Fenstersimsen.
    Hin und wieder erklang ein dumpfer Aufschlag, ein Klatschen: Ein Vogel war herabgestoßen und zu Boden gestürzt. Viele werden sich auf diese Weise selbst töten, dachte er, aber nicht genug. Lange nicht genug.
    »Hab keine Angst, Jill«, sagte er laut, »ich habe Bretter vor die Fenster genagelt. Die Vögel können nicht herein.«

    Er ging durch das Haus und untersuchte noch einmal alle Luken. Er hatte gründliche Arbeit geleistet. Jeder Spalt war geschlossen. Aber er wollte sich doch noch einmal vergewissern. Er suchte Keile, Blech von alten Konservendosen, Holzleisten und Metallstückchen und fügte sie an den Seiten ein, um die Verschalungen noch haltbarer zu machen. Das Hämmern half die Geräusche der Vögel übertönen, dieses Scharren und Pochen und, was schrecklicher war – was er Frau und Kinder nicht hören lassen wollte –, das Splittern und Klirren von Glas.
    »Dreh das Radio an«, sagte er, »wir wollen ein bisschen Musik hören.«

    Das würde dieses unheimliche Geräusch übertönen. Er ging hinauf in die Schlafzimmer und verstärkte auch dort die Bretter vor den Fenstern. Hier oben konnte er die Vögel auf dem Dach hören, das Kratzen der Krallen, ein Rascheln und Tappen.

    Ihm wurde klar, dass sie alle in der Küche schlafen mussten; die Matratzen mussten hinuntergeschafft und auf dem Fußboden ausgebreitet werden. Er traute den Kaminen in den Schlafzimmern nicht. Die Bretter, die er vor die offenen Kamine eingefügt hatte, konnten nachgeben. In der Küche aber würden sie durch das Feuer sicher sein. Man musste so tun, als sei alles nur ein Spaß. Musste die Kinder glauben machen, dass sie heute Abend Zeltlager spielten. Falls das Schlimmste geschah und die Vögel durch die Schlafzimmerkamine durchbrechen sollten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher