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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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Prolog
    Als er aufwachte, hatte er das unbestimmte Gefühl, dass etwas Furchtbares mit ihm geschehen war.
    Er schlug die Augen auf: Um ihn herum war nichts als Schwärze. Einen schrecklich langen Moment glaubte er, auf einmal blind geworden zu sein. Er warf den Kopf hin und her in der verzweifelten Hoffnung, irgendwo in der Düsternis einen winzigen Lichtstrahl zu erhaschen. Während er sich bewegte, spürte er, dass er an Händen und Füßen gefesselt war. Wenn er doch bloß etwas sehen könnte – nur irgendetwas. Doch alles blieb schwarz.
    Die Finsternis schien ihn nach unten zu drücken, und er spürte nun deutlich, dass er auf felsigem Boden lag. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er konnte graue Schatten erkennen, kantige Umrisse.
    Er zitterte. Die verschwitzten Kleidungsstücke klebten an seinem Körper, gleichzeitig war es in seinem Gefängnis schrecklich kalt. Die Feuchtigkeit des Untergrundes drang durch den Stoff, vermischte sich mit dem eisigen Schweiß seiner Angst. Gegen die Kälte half auch die Decke nicht, die jemand über ihn gelegt hatte. Sie war weich und roch nach Weichspüler, wirkte jedoch in dieser großen Leere seltsam fehl am Platze.
    So wie er.
    Irgendwo hinter ihm tropfte es. Immer wieder, in zermürbender Gleichmäßigkeit. Einige Male versuchte er, die Tropfen zu zählen, als könne er auf diese Weise seine Situation kontrollieren.
    Doch es gab keine Kontrolle.
    Er versuchte um Hilfe zu rufen. Aber er konnte nur dumpfe, heisere Geräusche ausstoßen, die niemand hören würde: Der zusammengeklumpte Lappen in seinem Mund tat weh und drückte gegen das Zäpfchen; und immer wieder überkam ihn das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Doch er kämpfte dagegen an, denn er wusste, dass er sonst ersticken würde.
    Verzweifelt versuchte er, sich abzulenken. Mit hoffnungsvollen und ermutigenden Gedanken, mit Erinnerungen an schöne Erlebnisse, mit heiteren Episoden aus dem Alltag.
    Doch es half nichts.
    Ständig hatte er Bilder von seinem eigenen qualvollen Tod vor seinem inneren Auge.

Kapitel 1
    »Ich will den Cache allein finden!«
    Der fünfjährige Jannik Walburg schaute zu seinem Vater Martin empor und bekräftigte: »Du darfst mir nicht helfen, Papa. Und Mama auch nicht! Ich bin schon groß genug! Ich kann den Schatz ganz alleine finden.«
    Das GPS-Gerät in seiner kleinen Hand wirkte wie ein zu groß geratenes Funkgerät. Während Jannik durch den Wald marschierte, hielt er den Satellitenempfänger zumeist weit von sich gestreckt; es sah aus, als zöge das Gerät ihn gegen seinen Willen vorwärts. Doch nun blieb er stehen und wies mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf den elektronischen Kompass, auf dessen Display der Richtungspfeil nach Nordosten zeigte. Jannik blickte abwechselnd nach vorn und auf den kleinen Bildschirm. Als er schließlich weiterging, geriet er durch eine Furche im ausgetrockneten Waldweg ins Stolpern und wäre beinahe gefallen, aber im letzten Moment fing er sich wieder. Irgendwo zwischen den Bäumen knackte es; vermutlich lief ein kleines Tier durchs Unterholz.
    Martin ließ seinen Ältesten vorneweg laufen. Er schaute über die Schulter und sah zu, wie Katharina den Kinderwagen mit dem kleinen Elias über einen holprigen Wegabschnitt schob. Martin winkte seinem Jüngsten zu. Der Wagen schaukelte, und Elias jauchzte, als säße er in einem Karussell.
    Katharina hingegen wirkte immer noch wie jemand, der in einen Essigtopf gefallen war. Heute war Martins erster Urlaubstag, und er hatte endlich einmal lange im Bett liegen können. Doch sie erwartete von ihm, dass er ihr an seinen freien Tagen schon frühmorgens bei der Hausarbeit half – und das, obwohl er doch in seinem Beruf so hart schuften musste! Aber das wollte sie nicht einsehen, und deshalb war sie schon den ganzen Vormittag eingeschnappt.
    »Da geht’s lang, Papa!«
    Jannik war erneut stehen geblieben und wies mit dem Finger mitten in den dichten Wald hinein.
    Martin beugte sich zu ihm hinunter. »Nein, nicht direkt durch den Wald.« Er blickte auf das Display des GPS-Geräts und zeigte auf die rot markierte Strecke. »Zuerst folgen wir diesem Wanderweg, und nach ungefähr sechshundert Metern schauen wir nach, ob wir die versteckte Dose finden.«
    »Ist das noch weit?«, erkundigte sich der Junge.
    »Ja, aber nur ein bisschen«, antwortete Martin. Es kostete ihn Mühe, nicht genervt zu klingen. Er wollte lieber in Ruhe wandern und seinen Gedanken nachhängen, statt wie in den letzten
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