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Die vierte Todsuende

Die vierte Todsuende

Titel: Die vierte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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Wohnungen lagen, deren Zimmer sämtlich auf einen langen Korridor mündeten. Man nannte das ›Kaltwasserwohnungen‹, nicht unbedingt, weil es da kein heißes Wasser gab — dies konnte durchaus der Fall sein, wenn der Hausbesitzer großzügig war -, sondern weil sich die — gedeckte — Badewanne in einer Ecke der Küche befand und für beide Wohnungen nur eine einzige Toilette vorhanden war, im Treppenhaus.
    Von dieser Sorte Mietshäuser gab es in Manhattan nicht mehr viele. Entweder waren sie abgerissen und durch Appartementhochhäuser ersetzt worden, oder aber sie waren total umgebaut worden und wurden zu Wahnsinnspreisen vermietet. Ob das nun als Fortschritt zu bezeichnen war, war Delaney nicht ganz klar, geändert hatte sich auf jeden Fall einiges, und wer gegen Veränderungen war, der sollte sich eben wehmütigen Erinnerungen an die Zeit überlassen, da ganz Manhattan weiter nichts war als Weideland. Immerhin fühlte er sich nicht ganz frei von einer gewissen Wehmut, als er sich an seine Kindheit erinnerte.
    Es fiel sogleich ins Auge, dass die Bewohner dieses Hauses sich tapfer darum bemühten, die üblichen Verfallserscheinungen zu verhindern; alle Fenster waren blankgeputzt, die Hauswände wiesen keinerlei Schmierereien auf, die Gardinen waren sauber, und auf der Vortreppe standen Blumenkübel, angekettet ans Geländer. Die Mülleimer aus Kunststoff waren sauber und hatten Deckel. Insgesamt durchaus ein einladender Anblick, der von einer mäßigen Wohlhabenheit zeugte.
    Delaney stapfte über den Fahrdamm und dachte dabei, dass dies doch eine etwas ungewöhnliche Wohngegend sei für den angehenden Chef der New Yorker Kriminalpolizei; die leitenden Beamten der Behörde bevorzugten im allgemeinen Queens oder Staten-Island.
    Das Messingschild an der Tür war blankgeputzt, und die Haussprechanlage funktionierte wunderbarerweise. Als er auf die Klingel gedrückt hatte, vernahm er eine piepsende Kinderstimme: »Ja? Wer ist da?«
    Er lehnte sich etwas vor und sagte in das vergitterte Mikrofon: »Edward X. Delaney hier.«
    Es knackte, dann ertönte der Summer, und Delaney drückte die Tür auf. Als er bis zum zweiten Stock gestiegen war, begrüßte ihn auf dem Treppenabsatz eine Gestalt, die an Don Quichotte erinnerte — hochgewachsen und spindeldürr — und ihm eine knochige Hand hinhielt. »Mr. Delaney? Ich bin Michael Ramon Suarez.«
    »Freut mich sehr, Chefinspektor. Es ist nett von Ihnen, dass Sie mich bei sich zu Hause empfangen.«
    Suarez erwiderte mit formeller Höflichkeit: »Es ist mir eine Ehre, dass Sie sich herbemüht haben. Ich hoffe, es bedeutet für Sie keine Umstände, ich wäre selbstverständlich jederzeit zu Ihnen gekommen.«
    Das war Delaney durchaus bekannt, Thorsen hatte das schon vorgeschlagen. Delaney lag jedoch daran, Suarez in seinen eigenen vier Wänden kennenzulernen, er wollte sehen, wie dieser Mann außerhalb des Dienstes lebte. Das war immerhin eine Möglichkeit, sich einen Eindruck von ihm zu verschaffen.
    In der Wohnung wimmelte es von Kindern, fünf an der Zahl, im Alter zwischen drei und zehn, die Delaney sämtlich vorgestellt wurden. Michael Jr., Maria, Joseph, Carlo und Vita. Und als Frau Suarez erschien, hatte sie noch eines auf dem Arm, Thomas.
    »Da haben Sie ja eine eigene Baseballmannschaft«, scherzte Delaney, »noch dazu mit einem Ersatzspieler.«
    »Rosa möchte Fußball spielen«, verkündete Suarez trocken, »aber das geht mir entschieden zu weit.«
    Der Gast musste im bequemsten Stuhl sitzen und trotz seines Protestes Kaffee trinken, zu dem es in Puderzucker gewälztes Gebäck gab. Sämtliche Suarez' tranken ebenfalls Kaffee, und zwar mit Dosenmilch, während Delaney seinen schwarz nahm. Nach dem ersten Schluck blickte er die Hausfrau an: »Köstlich. Eine Spur Zichorie, Mrs. Suarez?«
    »Ja, nur eine Spur.« Sie errötete ein wenig bei diesem Lob.
    »Und das Gebäck? Selbstgemacht?«
    Sie nickte stumm.
    »Ein Genuss. Italiener, Franzosen und Polen machen sonderbarerweise ganz ähnliches Gebäck.«
    »Es ist bloß Brandteig«, sagte Suarez, »aber Rosa macht ihn wirklich gut.«
    »Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Delaney nahm sich noch ein Stück. Er stellte den Kindern Fragen nach der Schule, und als sie losschnatterten, fand er Zeit, sich umzusehen. Die Wohnung war alles andere als luxuriös, dafür aber blitzblank, die Wände waren grün, an einer ein großes Kruzifix, an einer anderen ein Wandbehang aus dunklem Samt mit einer aufgemalten Landschaft — wohl der
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