Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
Vom Netzwerk:
Bekanntschaft!“
    „Er ist Engländer“, sagte Sophie entschuldigend, „er hat gewiss keine schlechten Absichten gehabt. Er war auch ganz unbefangen, als wir ausgestiegen sind, während ich die ganze Zeit Angst hatte, man könnte mir irgendetwas anmerken. – Still, Isabelle – hast du das auch gehört? Was ist das?“
    „Ich habe nichts gehört.“ Es entstand eine Pause.
    „Es ist wohl nichts, nur das Gewitter“, sagte Isabelle dann.
    „Ich habe aber gehört, dass jemand geatmet hat“, sagte Sophie ängstlich. „Und wie dunkel es ist! Man sieht kaum die Hand vor Augen.“
    Hamilton wagte nicht, sich zu bewegen. Sie standen jetzt nur wenige Schritte von ihm entfernt. Sie tasteten sich offenbar an der Wand entlang, doch während eine sicher das Ende des schmalen Ganges erreichte, stolperte die andere an der Treppe, und da Hamilton unwillkürlich eine Bewegung machte, ließ ihn ein aufzuckender Blitz für Sekunden sichtbar werden. Obwohl er sofort einen Schritt zurücktrat, hatte Sophie ihn gesehen und schrie erschreckt auf: „Ich habe ihn gesehen! Ich habe ihn gesehen! Er ist hier!“
    „Wer? Von wem sprichst du?“
    „Der Engländer! Er ist dort drüben!“
    „Unmöglich, das bildest du dir ein! Wie kannst du nur so töricht sein!“    
    „Ich habe ihn gesehen, als es geblitzt hat, und er sah aus, als ob er tot wäre! Ich habe ihn gesehen, ich habe ihn wirklich gesehen!“, rief Sophie und fing an zu schluchzen.
    Hamilton war zutiefst erschrocken. Da er glaubte, dass der Beweis seiner Lebendigkeit sie von ihrer Angst befreien würde, ihn als Geist gesehen zu haben, trat er aus seinem Winkel hervor und erklärte, so gut er konnte, warum er sich dort verborgen hatte. Vor lauter Besorgnis ergriff er Sophies Hand, nannte sie beim Vornamen und redete allerlei Unsinn, um sie zu beruhigen. Seine Bemühungen waren jedoch vergeblich, laut rief sie: „Gehen Sie! Lassen Sie mich!“
    „Sophie, sei doch still“, zischte ihre Schwester. „Willst du, dass wir hier entdeckt werden?“
    Ihre Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten, denn schon hörte man Türen klappern, irgendwo flammten Lichter auf.
    „Gleich wird die Mama kommen und wir können uns darauf gefasst machen, gleich morgen wieder nach München zurückzukehren“, sagte Isabelle.
    Hamiltons Situation wurde immer unangenehmer. Wie sollte er das Ganze Frau Rosenberg oder auch anderen Gästen erklären; seine Gedanken wirbelten wild durcheinander.
    „Was Sie betrifft, Herr Engländer“, sagte Isabelle eisig, „so wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie sich möglichst schnell entfernen würden, um uns nicht in Verlegenheit zu bringen. Gehen Sie!“
    Automatisch wandte er sich um.
    „Nicht dorthin, nicht dorthin“, rief sie heftig, „man könnte Sie wirklich für einen Narren halten!“
    Durch diese unhöfliche Bemerkung getroffen, zischte Hamilton wütend: „Wo zum Teufel soll ich denn hingehen, Mademoiselle? Soll ich etwa diesen Lichtern entgegen gehen?“
    „Gehen Sie, gehen Sie!“, rief sie mit zunehmender Heftigkeit und stampfte mit dem Fuß auf. „Wenn Sie sich beeilen, können Sie durch den Korridor entkommen, ohne dass man Sie entdeckt.“
    Er eilte durch den Gang, stolperte zwei Treppen hinauf, gelangte zu einer Tür, die glücklicherweise unverschlossen war und fand sich – in der Kirche wieder. Völlig verwirrt und von Scham erfasst, sank er in einen Sitz nieder und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Das Ganze war ein Albtraum.
    Schritte und Stimmen kamen näher, er hörte mehrere Personen sprechen, dann war alles ruhig, nur Sophies Schluchzen war noch zu  hören. Unterdessen hatte draußen der Sturm zugenommen, einem Blitz folgte augenblicklich ein so lauter Donner, dass er die Grundmauern des Gebäudes zu erschüttern schien. Die Versammlung löste sich daraufhin offenbar auf; Hamilton konnte hören, wie sich Schritte entfernten und die Stimmen leiser wurden, Türen sich öffneten und wieder schlossen. Sobald alles still war, erhob er sich aus seinem Sitz und bewegte sich zum Ausgang. Leider hatte er jegliche Orientierung verloren und keine Ahnung, in welche Richtung er gehen musste, um zum Speisezimmer zu gelangen. So lautlos wie möglich durchquerte er einen Korridor und warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen sah er die Kutsche des Barons. Diese Aussicht diente ihm gewissermaßen als Kompass, denn die Fenster seines Zimmers gingen zur selben Seite hinaus. Trotzdem hielt er es für ratsam, Licht zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher