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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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einigen Jahren bemüht, die Quelle mehr bekannt zu machen und in Aufnahme zu bringen, was auch mit sehr glücklichem Erfolge geschehen ist … Die Lage des Klosters ist eine der schönsten, welche man sehen kann. Ein großes Gebäude, unmittelbar am See gelegen … es befinden sich dort 18 wohl eingerichtete Zimmer … Man badet zu ebener Erde in kleinen abgeschlossenen Zellen … Es sind dort 30 Badewannen, welche im Sommer viel benutzt werden … Das Wasser riecht stark nach Schwefelwasserstoffgas und hat einen auffallenden Geschmack nach Eisen.“
    Hamilton ließ das Buch sinken. Vom See aus konnte er bis in die parkähnliche Gartenanlage hinein sehen; so konnte er beobachten, wie Sophie und ihre Schwester auf und ab gingen, wobei sie sich eifrig unterhielten und so häufig in seine Richtung blickten, dass er überzeugt war, der Gegenstand ihrer Gespräche zu sein. Wenig später wurde ihre Zweisamkeit durch das Erscheinen ihrer drei kleinen Stiefbrüder jäh beendet, und Sophie ließ sich dazu bewegen, mit ihnen Fangen zu spielen. Isabelle kümmerte sich nicht um die Kinder, sondern ging auf das Ufer zu und blickte auf den See hinaus.
    „Vielleicht bereut sie, mich gestern Abend so unhöflich behandelt zu haben“, dachte er nicht ohne eine gewisse Eitelkeit. „Sie scheint reifer zu sein als ihre Schwester, außerdem ist sie ohne Zweifel die Hübschere der Beiden.“
    Hamilton ruderte zurück an den Landungsplatz, band den Kahn fest und ging langsam auf sie zu; doch sie schien in Wirklichkeit keinerlei Interesse an ihm zu haben, denn sie blickte weiterhin regungslos auf den See hinaus, auf irgendeinen imaginären Punkt in der Ferne, und selbst beim Klang seiner Stimme, als er andere Gäste grüßte, drehte sie sich nicht zu ihm um.  
    Er sah auf die Uhr und fand, dass es an der Zeit sei, das Frühstück einzunehmen, um danach Graf Zedwitz zu besuchen, denn ohne Zweifel war er der Absender des Briefes, der ihn nach Seeon gebracht hatte. Er fragte nach der Wirtin und erfuhr, dass sie in der Küche mit der Bereitung von Kaffee und Semmeln beschäftigt sei. Zu seiner freudigen Überraschung ordnete sie an, sein Frühstück in die Laube zu tragen, wo die Gräfin Zedwitz und ihre Tochter frühstückten, weil sonst alle Plätze im Garten belegt seien. Er folgte ihr mit einer Mischung aus Nervosität und Neugier. Während das Frühstück auf dem Tisch der Frauen abgestellt wurde, stellte die ältere Dame halblaut eine kurze Frage, die offenbar zu ihrer Zufriedenheit beantwortet wurde, denn sie nickte zustimmend mit dem Kopf. Seine Verbeugung wurde mit einem freundlichen Lächeln quittiert.
    „Sie weiß, wer ich bin“, dachte er. Beim Anblick der Tochter, die ausgesprochen frisch aussah, fiel ihm die Erzählung des Zimmermädchens ein – vermutlich war sie vorhin gerade einem Zuber mit kaltem Wasser entstiegen.
    „I beg your pardon Madam“, sagte Hamilton höflich und bat um Verzeihung, dass er sie beim Frühstück störe.
    „Oh you're very welcome“, erwiderte die Gräfin freundlich in seiner Muttersprache. „Ich freue mich immer über eine Gelegenheit, Englisch zu sprechen. Ich schätze mich glücklich, ihre Bekanntschaft zu machen.“
    Hamilton erwiderte sinngemäß, die Freude sei ganz auf seiner Seite und er hoffe, ein recht interessanter Gesprächspartner für sie zu sein, worauf sie huldvoll lächelte und nickte. Die Antwort auf seine Frage, ob sie seinen Vater jemals persönlich kennen gelernt habe oder welchen Anlass ihre freundliche Einladung sonst habe, blieb sie jedoch schuldig. Wie die meisten Deutschen, die zu jener Zeit Englisch lernten, verstand sie selten wirklich, was man in dieser fremden Sprache zu ihr sagte, weil sie ihre Kenntnisse nur aus Büchern hatte. So konnte sie zwar Englisch lesen und leidlich sprechen, ganze Sätze verwandelten sich in ihren Ohren aber in ein undurchdringliches Dickicht fremder Laute. Folglich zog sie es vor, selbst etwas zu sagen statt auf irgendetwas zu antworten. Auf die Frage nach dem Anlass für ihren Brief sagte die Gräfin schließlich nach einer kleinen Pause: „Wir haben hier eine wunderbare Natur. Es ist so ruhig.“
    Hamilton war verblüfft – sie hatte ihn nach Seeon gebeten, weil es hier ruhig war, sonst nichts? Oder war sie vielleicht schwerhörig?
    „Die Mama will sagen, dass die Aussicht hier sehr gut ist“, sagte ihre Tochter erklärend.
    „Ah ja – die Aussicht!“, wiederholte er.
    „I mean the landscape – or paysage? Landschaft –
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