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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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heißt es nicht so auf Englisch?“
    „Doch, doch“, erwiderte er schnell und sah sich um. Aber sie befanden sich eben in einer Laube, die vollständig von dichten grünen Zweigen umgeben war, um die darin Sitzenden vor Sonneneinstrahlung zu schützen, und der kleine Eingang führte in den Garten – es war also gar keine Aussicht vorhanden, die diesen Namen verdient hätte. Hamilton wusste nicht, was er sagen sollte und begann, sich leicht unbehaglich zu fühlen. Glücklicherweise erschienen in diesem Moment die Rosenbergs im Garten und sorgten für Ablenkung. Sophie und ihre Schwester gingen ihrer Stiefmutter entgegen. Sie trug ein nicht besonders vorteilhaftes Kleid aus dunklem Stoff und hatte einen leichten Schal über die Schultern geworfen; zu Hamiltons Erstaunen hatte sie noch diese merkwürdigen Dinger aus Leder im Haar, die Frauen benutzten, um widerspenstige Locken in Form zu bringen.    
    „Wer ist das?“, fragte die Gräfin, zu seiner großen Erleichterung auf Deutsch. „Wer ist diese Person?“
    „Soweit ich weiß, ist ihr Name Rosenberg“, antwortete er. „Sie ist gestern Abend aus München angereist.“
    „Ach, ich weiß, das ist die Person, die gestern wegen des Gewitters im Gang so laut geschrien hat.“
    „Nein, ich glaube, das war eine ihrer Töchter.“
    „Oh, eine von ihren Töchtern? Sie sind sehr hübsch“, sagte die Gräfin, indem sie ihr Lorgnon an die Augen hob. „Wirklich ausgesprochen hübsch, und ich glaube, ich habe sie schon einmal irgendwo gesehen – aber wo? Ich kann mich nicht erinnern.“
    „Oh Mama, ich weiß, woher Sie sie kennen; sie waren im selben Internat wie meine Cousine Therese, und wir haben sie vergangenes Jahr beim Examen gesehen. Erinnern Sie sich nicht mehr an die beiden Schwestern, die sich so ähnlich sahen? Und als wir mit der Fürstin Radolny nach Hause fuhren, sagte sie, dass sie ihre Mutter gekannt habe, die in ihrer Jugend ebenfalls eine Schönheit war.“
    „Diese Person in dem abscheulichen Negligé? Das hast du sicher falsch verstanden, Kind.“
    „Nein, nein – ihre leibliche Mutter war von Adel! Sie war eine Raimund, hatte kein Vermögen und heiratete einen Bürgerlichen, weil sie nicht nur schön, sondern auch klug war. Ihre Verwandten haben ihr diesen Fehltritt nie wirklich  verziehen, aber nach ihrem frühen Tod boten sie an, ihre beide Töchter zu Gouvernanten ausbilden zu lassen. Ihr Vater war zuerst nicht damit einverstanden, aber dann hat eine reiche Handwerkertochter geheiratet und auf ihr Drängen hin hat er dann doch eingewilligt.“
    „Ja, jetzt erinnere mich mich, Agnes – wahrscheinlich eine Schwester von Graf Raimund ...“
    „Gnädiges Fräulein, Ihr Name ist Agnes?“, fragte Hamilton überrascht. „Dann sind Sie vielleicht die Absenderin des Briefes, den ich in München erhalten habe?“
    „Was für ein Brief?“, fragte die Gräfin und runzelte die Stirn.
    „Ein Irrtum, Mama.“
    „Aber er hat doch gesagt, dass du an ihn geschrieben hast?“
    „Nein, Mama, ich habe nicht an ihn geschrieben. Aber es ist sehr gut möglich, dass es der Papa getan hat. Ich weiß, dass er vor kurzem an einen Engländer in München geschrieben hat. – Er wird sich sicher sehr freuen, Sie zu sehen“, fügte sie zu Hamilton gewandt hinzu, „denn obwohl er ganz leidlich Englisch spricht, bereitet ihm das Schreiben große Mühe, und für den Brief, von dem Sie sprechen, hat er beinahe eine Stunde gebraucht. Wenn Sie gefrühstückt haben, kann ich mit Ihnen auf sein Zimmer gehen.“
    Hamilton setzte seine Kaffeetasse ab und stand augenblicklich auf.
    „Agnes! Du weißt, dass der Vater schwitzt“, sagte ihre Mutter.
    „Ja, Mama, das weiß ich. Aber der Papa wird sehr erfreut sein zu hören, dass Herr Hamilton aus London angekommen ist. – Sie kommen wahrscheinlich gerade aus Gräfenberg zurück? Haben Sie einen Brief von Prießnitz dabei?“
    „Einen Brief von Prießnitz? Ich bedaure“, erwiderte Hamilton.
    „Vielleicht möchten Sie mit dem Papa sprechen, ehe Sie sich entschließen, nach Gräfenberg zu gehen?“
    „Ich? Ich habe nicht die geringste Absicht, dorthin zu gehen, mein Fräulein“, sagte Hamilton, der keine Ahnung hatte, wovon sie überhaupt sprach; in England kannte niemand Vincenz Prießnitz und seine Wasserkuren, den Wegbereiter des später legendären Sebastian Kneipp.
    „Nun, auf alle Fälle sollten Sie mit dem Papa sprechen, ich bin mir sicher, dass er Sie erwartet.“
    „Es wird mich sehr freuen, seine
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