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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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ein Zimmermädchen nach Baron Zander zu fragen. Er gab ihm seine Visitenkarte und es kam wenig später zurück und sagte, der Baron freue sich, ihn zu empfangen. Hamilton folgte der freundlichen Einladung augenblicklich und war nicht weiter erstaunt, den „Herrn Baron“ von gestern anzutreffen, dessen Anreise er miterlebt hatte. Er war der einzige Baron, der zurzeit im Kloster logierte. Er trat sehr herzlich auf Hamilton zu, schüttelte ihm die Hand und rief: „Mister Hamilton, I'm very glad to see you – sehr erfreut, Sie zu sehen. Meine Frau und ich haben Ihre Ankunft sehnlichst erwartet, denn wir müssen Seeon heute Nachmittag verlassen, um nach Berchtesgaden zu gehen. Aber nun lässt sich alles leicht arrangieren, Sie gehen mit uns, Sie bewundern die schönen Berge, Sie sehen die Salzwerke, und dann arrangieren wir eine Alpenpartie oder eine Gamsjagd. Sind Sie ein guter Schütze?“  
    „Nein, das bin ich leider nicht“, antwortete Hamilton mit einiger Verlegenheit, denn seine mangelhaften Schießkünste sorgten im Freundeskreis immer wieder für spöttische Bemerkungen.
    „Na, vielleicht bevorzugen Sie eine Hetzjagd zu Pferde?“
    Hamilton gab zu, dass ihm eine Parforcejagd lieber wäre, weil er wesentlich besser reiten als schießen könne.    
    „Bei mir ist es genau umgekehrt“, erwiderte der Baron lachend. „Ich dachte, es wäre für Sie interessant, mich auf eine Jagd zu begleiten ...“
    „Das würde ich natürlich sehr gerne tun, aber am liebsten als Zuschauer“, sagte Hamilton eifrig.
    Zander trug seinem Diener auf, seiner Frau zu melden, dass Mr. Hamilton, der erwartete Engländer, angekommen sei. War sie die Absenderin des Briefes? Als sie ins Zimmer trat, begrüßte sie ihn sehr freundlich, aber reserviert. Hatte sie einen anderen erwartet? Als er ihren Brief und die Einladung erwähnte, sagte sie zunächst nichts, und das Blut stieg ihm langsam zu Kopf.
    „Wissen Sie, ich hatte eigentlich mit Ihrem Vater gerechnet, deshalb bin ich jetzt etwas enttäuscht. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel. Sie waren noch ein Kind, als ich Sie das letzte Mal gesehen habe John, ich kann mich an Sie kaum noch erinnern. Aber es freut mich, dass Sie erst einmal eine längere Auslandsreise unternehmen, ehe Sie zu Ihrem Regiment gehen. Jedenfalls muss Ihnen das alles keineswegs unangenehm sein, Sie sind uns selbstverständlich herzlich willkommen. Ich bin schon ganz gespannt, was Sie mir über London erzählen werden.“
    Hamilton bewegte sich auf ihre einladende Handbewegung hin mechanisch auf das Sofa zu. Er war verwirrt, gleichzeitig aber auch sehr erleichtert. Der Brief war also tatsächlich eigentlich für seinen Vater bestimmt gewesen. Außerdem hielt sie ihn für seinen Bruder John, aber das war ein Irrtum, der schnell aufzuklären war. Jedenfalls war die Baronin offenbar eine alte Freundin seines Vaters, und so hatte es sich auf jeden Fall gelohnt, hierher zu kommen.  
    Während er seine Gedanken ordnete, sagte jene gerade leise zu ihrem Mann: „Wie groß er ist, der längste Engländer, den ich je gesehen habe! Aber gut sieht er aus, und wenn er nicht so schüchtern wäre, wäre er garantiert ein echter Gentleman. Wir müssen ihn mit nach Berchtesgaden nehmen, Bernhard.“
    „Ich habe bereits alles arrangiert“, antwortete er zustimmend. „Ich werde ihn mitnehmen auf eine Gemsenjagd.“
    „Sind Sie Jäger?“, fragte sie Hamilton auf Englisch und setzte sich zu ihm aufs Sofa.
    „Überhaupt nicht“, antwortete er und rückte ihr höflich einen Fußschemel zurecht. „Aber ich würde trotzdem sehr gerne eine Gemsenjagd sehen.“
    „Wenn Sie kein guter Schütze sind, dann wird eine Gemsenjagd nicht das Richtige sein“, entgegnete die Baronin. „So eine Jagd dauert lange und ist sehr anstrengend. Wahrscheinlich wäre es interessanter für Sie, auf einen Berg zu steigen.“
    „Alles Neue wird mir willkommen sein“, antwortete Hamilton, „ich möchte in Deutschland so viel über Land und Leute erfahren wie nur möglich. Es wäre schön, wenn ich mit einigen Familien näher bekannt werden könnte.“
    „Ja, ich erinnere mich, dass Ihr Vater in einem Brief vor längerer Zeit erwähnt hat, dass Sie gerne eine Zeitlang in München wohnen würden ...“
    „Mein Vater?“, fragte er verblüfft. „Davon weiß ich gar nichts. Vor meiner Abreise schien es ihm völlig gleichgültig zu sein, ob ich den kommenden Winter in München oder in Wien verbringen würde, er hat mir bei der Wahl der Stadt
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