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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Autoren: Mary Mackey
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PROLOG
    An dem Tag, als Zuhan, der Große Häuptling der Hansi, beerdigt wurde, wäre es Vlahan, dem Bastard, fast gelungen, die Hexe aus dem Westen zu töten; aber die Hexe bediente sich ihrer magischen Kräfte und verhängte einen bösen Zauber über seine Krieger, der ihnen die Augen aus dem Kopf riß und sie blind und hilflos zurückließ. Sie warf ihre Augen in einen Lederbeutel, befestigte ihn an ihrer Taille, stahl fünf der besten Pferde und ritt gen Westen, wobei sie Arang, den Erben der Zwanzig Stämme, mit sich nahm.
    Groß war das Wehklagen unter den Kriegern, als sie ihr Augenlicht wiedergewannen. Einige knirschten wutentbrannt mit den Zähnen, andere hackten sich den Arm ab; wieder andere waren in ihrer Verzweiflung sogar drauf und dran, sich selbst zu töten, um die Schande zu tilgen, doch Vlahan befahl ihnen weiterzuleben. Er griff nach seinem längsten Speer und den schärfsten Pfeilen, stülpte den heiligen goldenen Becher über die Spitze seines Penis und stand mächtig und furchtlos vor ihnen.
    »Rache ist süß«, schrie er. »Ich werde mir ihren Skalp holen, um meinen Umhang damit zu schmücken. Zehn Stück Vieh für den Mann, der ihre Spuren findet! Einhundert Stück Vieh für den Mann, der Arang lebend zurückbringt!«
    Und so ritten die Krieger voller Vertrauen auf Han, den Gott des Leuchtenden Himmels, in die Steppe hinaus, um die Hexe zu fangen.
     
    Stavan und die Hexe. Ein Märchen der Hansi. Östliche Ukraine, 5. Jahrtausend v. Chr.
     
     
    Und der Schnee liebkoste sie,
    und der Schnee küßte sie,
    und der Schnee lag auf
    ihren Lippen und Augen.
     
    Die dunkelhaarige Marrah,
    Priesterin von Shara,
    schlief im Schnee
    wie eine Winterblume
    neben Stavan,
    ihrem Nomadenliebsten,
    umringt von Arang, Hiknak, Dalish.
     
    Sie schlief, während die Nomaden
    ihre Speerspitzen schärften;
    schlief, während deren Hunde ihre Witterung aufnahmen;
    schlief, während die feindlichen Kundschafter
    durch die Steppe jagten,
    mit Eis auf ihren Bärten
    und Haß in ihren Herzen.
     
    Gelobt sei die Göttin, die ihren weißen Umhang schützend
    über die gesegneten, unschuldigen Schläfer breitete!
    Gelobt sei die Große Eule,
    deren Mantel aus kalten Federn
    Marrah verbarg,
    Marrah, Priesterin von Shara!
     
    Aus »Die Göttin schickt Schnee«. Ein Gedenklied des Sharatani-Volkes. Schwarzmeerküste, 5. Jahrtausend v. Chr.
     
     
     

 
ERSTES BUCH
Die Schmetterlingsgöttin
     

1. KAPITEL
     
    In der ukrainischen Steppe, 4368 v. Chr.
     
    Die ganze Nacht über fiel Schnee; schwer und feucht, zwang er die langstieligen, gefiederten Gräser der Steppe nieder und drückte sie mit seinem Gewicht zu Boden. Das flache Land schien unter dem Angriff des Sturms sogar noch flacher zu werden, bis es so aussah, als hätte die Göttin Erde persönlich die Welt wie ein großes Leintuch geschüttelt und für den Winter ausgebreitet. Gegen Mitternacht war kaum noch eine Spur – weder von Mensch noch Tier –zu sehen. Die Wühl- und Feldmäuse kauerten tief in ihren Erdfurchen, um sich gegen den eisigen Wind zu schützen; die Habichte und Eulen suchten Zuflucht in ihren Nestern. Sogar die Wölfe verzogen sich mit ihren Jungen in ihren Bau und ertrugen einen leeren Magen. Nur eine Sorte Lebewesen in der Steppe jagte noch bei diesem Unwetter, und das war der Mensch.
    Trotz des Schneiens ritt ein Verband von Hansi-Kriegern nach Nordosten und trieb seine müden Pferde in dem Sturm vorwärts. Sie waren ein seltsam aussehender, furchteinflößender Trupp, in wollene Hosen und Kapuzenumhänge aus Wolfsfell gekleidet, die Bärte von Eis verkrustet, die Hände in dicken, pfotenähnlichen Fausthandschuhen vergraben.
    Ihre Waffen bestanden aus Steinäxten, die schwer genug waren, einem Mann den Schädel zu zertrümmern, und langen Speeren, die sie ohne abzusitzen schleudern konnten. Die mit Federn versehenen Enden scharfer Feuersteinpfeile ragten aus den Köchern heraus, die sie an der Taille trugen, und ihre Bögen waren gewaltig, der Mitte gekrümmt und von tödlicher Zielgenauigkeit. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß er gezwungen wurde, aus dem Sattel zu steigen und Mann gegen Mann zu kämpfen, hatte jeder Krieger sicherheitshalber einen Dolch bei sich, so scharf, daß er einem Menschen ebenso mühelos die Eingeweide aufschlitzen konnte wie einem Kaninchen.
    Schweigend ritten die Männer über die Ebene, während sich Schneeflocken in ihren Bärten festsetzten und Eispartikel unter ihren Nasenlöchern bildeten. Ganz
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