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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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war nicht allein.“ Sophie kicherte.
    „Das dachte ich mir. – Wahrscheinlich war sie mit ihrer Mutter oder ihrer Schwester dort.“
    „Ihre Mutter war nicht da, und ihr Schwager wollte ihrer Schwester nicht erlauben, bei Mondschein spazieren zu gehen.“
    „Also werden Sie womöglich Ihre Freundin in Seeon wiedersehen?“
    „Nein, leider nicht. Sie hat inzwischen geheiratet. Einen merkwürdigen alten Doktor. Ich war bei der Hochzeit die Brautjungfer, und weil ich von ihrer heimlichen Liebe zu Theodor wusste, habe ich sie gefragt, ob sie nicht sehr unglücklich sei. Aber ob Sie es glauben oder nicht, sie behauptete, alles was sie mir von Seeon und ihrer ersten Liebe erzählt habe, sei nichts als dummes Zeug gewesen.“
    „Dann war die Sache mit Theo also nichts weiter als ein kleiner Flirt?“
    „Ein … was ist denn ein – ein Flirt?“ fragte sie. „Etwas Englisches?“
    „Sie haben recht, etwas sehr Englisches“, lachte Hamilton. „Aber Ihre Freundin scheint zu wissen, was es ist.“
    „Dabei war sie nie in England und kann auch gar kein Englisch“, sagte Sophie nachdenklich. „Aber ich erinnere mich noch, dass sie im Internat zu mir sagte, sie wolle ins Kloster gehen, wenn man ihr nicht erlaube, Theodor zu heiraten! Und dann hat sie doch den Antrag von diesem Doktor Berger angenommen.“
    „Sie hätten das an ihrer Stelle nicht getan?“, fragte Hamilton.
    Sophie wollte gerade antworten, als ihr Blick auf das Kindermädchen fiel, das ihnen gegenüber saß; sie errötete leicht und blieb stumm. Hamilton wünschte, die Magd säße im anderen Wagen, auch wenn sie ständig mit dem kleinen Peppi beschäftigt war und vermutlich nicht alles von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Dann hatte er den Einfall, es mit Französisch zu versuchen, und siehe da, die junge Dame beherrschte diese Sprache besser als er selbst. Sie unterhielten sich so angeregt wie alte Bekannte und waren beide völlig überrascht, als die Kutsche vor dem alten Kloster anhielt.
    Sophies Stiefmutter wartete bereits auf sie und überschüttete Hamilton mit Dank, während er seiner Reisegefährtin zuflüsterte: „Ich werde Sie doch sicher wiedersehen, selbst wenn ich mich entschließen sollte, Seeon morgen schon wieder zu verlassen.“ Und als er ihr aus dem Wagen half, fügte er leise hinzu: „Wir müssen uns unbedingt den Kreuzgang bei Mondschein ansehen.“
    Sie antwortete nicht, auch nicht mit einem Lächeln; sobald ihre Füße den Boden in Seeon berührten, schien Sophie wie verwandelt. Sie reichte ihm die Hand und machte einen Knicks, wie er ihn nur von kleinen Mädchen kannte.
    „Ich danke Ihnen sehr für die Freundlichkeit, uns in Ihrem Wagen mitzunehmen“, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme, wobei sie seinem fragenden Blick auswich.
    „Sieh mal an“, dachte er bei sich, „so jung und schon eine solche Schauspielerin …“
    Kurz darauf folgte er der Wirtin durch einen Seiteneingang und eine Treppe hinauf, die zu einem langen Korridor führte, an dessen Ende sich der Eingang zu seinem Zimmer befand; zu seiner Enttäuschung machte es überhaupt keinen altertümlichen Eindruck. Die Besitzerin erklärte ihm, dass das Kloster in der Vergangenheit gleich zweimal bis auf die Grundmauern abgebrannt sei und nur noch wenig von dem ursprünglichen Gebäude vorhanden sei. Sein Zimmer war das modernste von allen und vor der Säkularisation die Wohnung des Abts gewesen.
    „Sind viele Zimmer belegt?“, fragte Hamilton interessiert.
    „Nicht viel, heut' in der Früh sind mehrere Gäste abgereist ...“
    „So, abgereist ...“, sagte er mit leichter Bestürzung. „Können Sie mir vielleicht sagen, ob noch andere Gäste aus England ...“
    In diesem Moment wurde er durch laute Geräusche unten aus dem Hof unterbrochen; Hamilton sah aus dem offenen Fenster. Eine kleine offene Kutsche und der mit Staub bedeckte Fahrgast weckten seine Neugier, so dass er fragte: „Wer ist das?“
    „Ach, der Herr Baron!“, rief die Wirtin, die ebenfalls aus dem Fenster gesehen hatte und ohne weitere Umstände das Zimmer verließ.
    Der als Baron Titulierte trug einen grauen Jagdrock und einen dunkelgrünen Filzhut. Ein Diener in Livree stürzte im Laufschritt auf den Wagen zu, gefolgt von einem halben Dutzend Männern und Frauen, die bald alle mit Gepäck beladen waren. Jemand an einem Fenster oberhalb von Hamilton brach in schallendes Gelächter aus; der Reisende blickte in die Höhe, lachte ebenfalls und schwenkte seinen Hut. „Du siehst aus wie
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