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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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und es wurde beinahe schlagartig finster. Die Wetteränderung machte seine Hoffnung auf eine romantische Begegnung bei Mondschein zunichte, und wie die Dinge gerade standen, wäre ein Rendezvous bei Blitz und Donner ganz sicher keine gute Idee. Immerhin bestand die Aussicht, Sophie beim Abendessen zu sehen, und gleichermaßen von Reue wie von Hunger angetrieben, beschloss er, sich sofort nach unten zu begeben. Er trat hinaus auf den langen Korridor und suchte die Treppe, die hinunter in den Speiseraum führte. Unverhofft stand er plötzlich in einer kleinen hohen Kapelle. Es war dunkel und nur schemenhaft konnte er den Altar erkennen. Neugierig tastete er sich vorwärts, bis er einen Wandelgang erreichte, den er instinktiv als den Ort erkannte, an dem man bei Mondschein romantische Gefühle entwickeln könnte. Die ihm gegenüber liegenden Türen hatten früher wahrscheinlich zu den Kammern der Mönche geführt. Er entdeckte eine breite Treppe in der Nähe, aber da er fürchtete, sich zu verlaufen, begnügte er sich damit, aus einem Erkerfenster einen Blick auf den Garten und einen See zu werfen. Die Wolken waren noch dunkler als vorhin, Wind war aufgekommen. Gedankenverloren blickte er auf die unruhige Wasserfläche, als er von herannahenden Schritten und Stimmen aufgeschreckt wurde.
    Hamilton schritt den Gang entlang, bog nach links ab und trat in einen kleinen Hof, der einst ein Garten mit Bäumen und Springbrunnen gewesen sein mochte. Er stieg einige Stufen hinauf und gelangte auf ein Plateau, von dem aus er in das Innere der Kapelle schauen konnte. Die vor dem Altar hängende Lampe warf ein flackerndes Licht auf die Gegenstände in ihrer unmittelbaren Nähe, alles übrige lag im Dunkel. Gerade als er diesen interessanten Ort verlassen wollte, um das Speisezimmer zu suchen, näherten sich zwei Personen, und da er die Stimme seiner Reisegefährtin erkannte und vermutete, dass sie von ihrer Schwester begleitet wurde, entfernte er sich hastig durch einen anderen Eingang. In der Eile stolperte er jedoch und seine Füße verhedderten sich unglücklich in einem Seil, das offensichtlich zum Glockenturm gehörte – bei einer einzigen unbedachten Bewegung würde er das gesamte Haus alarmieren. Während er versuchte, sich vorsichtig zu befreien, wurde er unfreiwillig zum Zuhörer eines nicht für seine Ohren bestimmten Gesprächs.
    „Du findest also nicht, dass er gut aussieht?“, fragte Sophie gerade.
    „Ich könnte nicht sagen, dass er mir besonders gefällt – aber ich habe ihn auch nur kurz beim Mittagessen gesehen. Ich glaube, er ist ziemlich eingebildet.“
    „Auf alle Fälle war es sehr nett von ihm, uns in seinem Wagen mitzunehmen“, erwiderte Sophie. „Ich bin überzeugt, dass du ganz anders über ihn reden würdest, wenn du an meiner Stelle mit ihm gereist wärst.“
    „Liebe Sophie, ich bezweifle gar nicht, dass er ein guter Unterhalter ist, wenn du es sagst, er hat auch sicher gute Manieren et cetera, aber du kannst mich nicht dazu zwingen, ihn anziehend zu finden.“
    „Ich habe auch nicht gesagt, dass ich ihn anziehend finde“, protestierte Sophie.
    „Nein, aber etwas Ähnliches – der interessanteste Mann, dem du je begegnet bist, das sagtest du doch, oder? Nun gut, dunkle Haare, braune Augen, kräftige Augenbrauen, schöne Zähne, gepflegte Hände, gute Manieren … Für mich ist er trotzdem einfach ein etwas übermütiger, eitler Jüngling ...“
    „Natürlich, ich hätte wissen müssen, dass er vor deinen Augen keine Gnade findet“, unterbrach Sophie ihre Schwester, „für dich muss es unbedingt ein Offizier sein in einer schneidigen Uniform und mit einem Säbel.“
    „Ob mit Uniform oder ohne“, erwiderte die Angesprochene lachend, „das würde bei ihm keinen großen Unterschied machen, er würde darin doch nur aussehen wie ein verkleideter Student.“
    Hamilton biss sich in seinem Versteck wütend auf die Lippen.
    „Ich wollte dir eigentlich etwas sagen“, begann Sophie zögernd, „aber du scheinst so gegen ihn eingenommen zu sein, dass ...“
    „Gegen ihn eingenommen? Überhaupt nicht! Ich halte ihn nicht für besonders anziehend, das ist alles.“
    „Nun, du weißt, dass wir auf der Fahrt hierher sehr viel miteinander geredet haben und … und … also, als wir nach Seeon hineinfuhren, sagte er, dass er mich gerne bei Mondschein im Kreuzgang treffen würde.“
    „Ja, das sieht ihm ähnlich!“, rief ihre Schwester aufgebracht. „Wie dreist nach einer so kurzen
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