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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung
Autoren: Jemima Montgomery
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ein Staubwedel!“, rief die unsichtbare Frauenstimme. „Hast du keine Trophäe mitgebracht? Kein Wild für unsere Wirtin?“
    „Die Gemsenjagd war unglücklich, obwohl ich die ganze Nacht draußen geblieben bin; aber meine neue Büchse hat beim Scheibenschießen Wunder getan.“
    Ein erneutes Lachen aus dem Fenster bewog ihn, sein Gewehr zu ergreifen und scherzhaft damit nach oben zu zielen. Er setzte es jedoch gleich wieder ab, während er entschuldigend ausrief: „Keine Sorge, es kann nicht losgehen, es ist gar nicht geladen.“
    Unterdessen hatte Hamiltons Kutscher sein Gepäck heraufgebracht, und ein Zimmermädchen verlangte zu wissen, ob er unten speisen wolle. Das Abendbrot werde in dem kleinen Zimmer serviert, durch welches er vorhin gekommen war, weil für den großen Speisesaal nicht genug Gäste im Haus seien. Vielleicht wünsche er aber, lieber auf seinem Zimmer zu speisen?
    „Keineswegs! Ich ziehe die table d'hôte stets vor. Können Sie mir nicht die Namen von einigen Gästen sagen, die hier logieren? Vielleicht habe ich Bekannte unter ihnen.“
    „Major Stutzenbacher aus München; die Familie, die gerade angekommen ist, sind die Rosenbergs aus München … dann der Landschaftsmaler, Herr Schneider, und Graf Zedwitz mit Frau und Tochter.“
    Zedwitz … Der Name fing mit Z an, so wie der Absender des geheimnisvollen Briefes.
    „Graf Zedwitz – spricht er Englisch?“
    „Oh bestimmt, er spricht auch Französisch. Er spricht mehrere Sprachen.“
    „Sie sind aber doch nicht krank, also sie sind nicht der Bäder wegen hier?“
    „Nein, ich glaube, dass sie hergekommen sind, um einige Freunde zu treffen. Ich habe den Diener sagen hören, dass ihr Haus oder das des Barons gerade voller Maurer und Tüncher ist.“
    „Ja, ich erinnere mich ...“
    „Aber die alte Gräfin nimmt Bäder“, fuhr das Zimmermädchen fort, „und findet sie auch sehr wohltätig. Der Graf ist ein Anhänger der Wasserkur, und wenn er nicht nach Gräfenberg geht, so sind ihm alle Orte, wo es genug Wasser gibt, gleich lieb.“  
    „Und seine Tochter?“, fragte Hamilton, der jetzt überzeugt war, den Absender des Briefes gefunden zu haben.
    „Oh, seine Tochter springt ihm zu Gefallen jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen in einen Zuber mit kaltem Wasser, um sich abzuhärten. Aber ich habe nie davon gehört, dass sie im Bett geschwitzt hätte ...“
    „Dass sie was getan hätte?“
    „Geschwitzt! Der Graf hat vor seiner Ankunft sein Schwitzbett und seine Wanne hierher geschafft, und sein Diener muss ihn jeden Morgen einwickeln und zubinden.“
    „Und das Fräulein schwitzt also nicht?“, fragte Hamilton und biss sich auf die Lippen, um ernst zu bleiben.
    „Ich glaube, dass sie nie einen Rheumatismus gehabt hat; aber eines Morgens, als sie Kopfschmerzen hatte, hatte sie ihre Füße in einer Wanne mit kaltem Wasser, und sie hatte nasse Tücher um den Kopf.“
    In diesem Augenblick klopfte es. „Herein!“, rief Hamilton, und zu seinem nicht geringen Erstaunen erblickte er Sophie. Sie errötete, was ihn verlegen machte, und dann ärgerte er sich über seine alberne Verlegenheit und versuchte, sie durch gespielte Gleichgültigkeit zu verbergen. Sie stammelte etwas von ihrem Stickbeutel und einem Halstuch, als sie mit Hilfe des Zimmermädchens seine Habseligkeiten untersuchte und seinen Mantel hin- und herwendete. Es fand sich nichts und sie wollte eben das Zimmer verlassen, als Hamilton die vermissten Besitztümer unter seiner Toilettentasche bemerkte. Als er ihr die Sachen übergab und die Tür aufhielt, um sie hinaus gehen zu lassen, benutzte er die Gelegenheit, ihren Knicks von vorhin mit einer so tiefen Verbeugung zu erwidern, dass sie zum Spott wurde, was sie auch so verstand; das Blut stieg ihr bis in die Haarwurzeln und überzog selbst Nacken und Ohren mit tiefem Rot, als sie, gefolgt vom Zimmermädchen, aus dem Raum eilte.
    Hamilton war über sein eigenes Benehmen so beschämt, dass er versucht war, Sophie nachzulaufen und sich zu entschuldigen, und wenn sie allein gewesen wäre, so hätte er es sicher getan. Möglicherweise war ihre Suche nach dem Halstuch nur ein Vorwand gewesen, um ihm ihr förmliches Benehmen von vorhin zu erklären, und die Anwesenheit des Zimmermädchens hatte sie daran gehindert. Er blickte aus dem Fenster, um zu sehen, ob er ihr vielleicht begegnen würde, wenn er den erwähnten Kreuzgang durchwanderte. Aber am Himmel zeigten sich anstelle des aufgehenden Mondes drohende Gewitterwolken
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