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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Autoren: Jana Simon
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Vorwort
    »Liebe Jana, dies wird vielleicht ein etwas selbstsüchtiges Weihnachtsgeschenk, aber ich denke mir, Du bist (so gut wie) erwachsen, und da wird es langsam Zeit, Dich mit meinem Geschriebenen zu behelligen.« Zu Weihnachten 1988 bekam ich ein Geschenk von meinen Großeltern, die Bücher meiner Großmutter, ihr Werk, elf Bände lagen unter dem Weihnachtsbaum im Berliner Amalienpark. Heiligabend verbrachte die Familie immer bei ihnen, die Tanne reichte bis zur Decke, und mein Großvater kochte für die ganze Familie Reh oder Kaninchen. Auf die ersten Buchseiten hatte meine Großmutter jeweils mit schwarzem Kugelschreiber kleine Texte an mich geschrieben – was sie in jener Zeit bewegt, was sie gedacht und was sie gefühlt hatte. Ich war damals 16 und von dem Geschenk nicht gerade begeistert. Eine Madonna-Platte hätte mir besser gefallen.
    Zu Hause wuchtete ich die elf Bände in mein Regal, und dort blieben sie. Ab und an zog ich eines der Bücher heraus, wog es in meiner Hand, und manchmal las ich es auch. Am meisten berührten mich diese kleinen Texte. Ich empfand sie als Angebot meiner Großeltern, mir etwas über sich zu erzählen, auch wenn ich das in jener Zeit noch nicht zu schätzen wusste.
    Damals, 1988 , lebten wir in der DDR , in Ostberlin. Es war das letzte Weihnachten, bevor dieses Land untergehen sollte, und meine Großmutter hatte gerade eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung überstanden.
    Auf den ersten Seiten von Der geteilte Himmel schrieb sie: »Ich war zwischen dreißig und vierunddreißig Jahre alt, in vielem naiver, als selbst ihr sechzehnjährigen es heute seid …« Dieser Satz wird sich wie ein Motiv in verschiedenen Variationen durch unsere Gespräche ziehen, die wir viele Jahre später führen.
    Ein Jahrzehnt nach jenem Weihnachten, 1998 , fing ich an, mich mit meinen Großeltern zu treffen, um mich mit ihnen über ihr Leben zu unterhalten. Die DDR existierte nicht mehr – das Land, mit dem meine Großeltern eng verbunden waren und das ich nur noch bei seinem Zusammenbruch beobachtet hatte.
    Im Jahr 1998 war ich 25 Jahre alt, meine Großeltern waren fast siebzig. Ich hatte das Gefühl, zu wenig von ihnen zu wissen, die Zeit nach dem Mauerfall erschien mir wie eine atemlose Abfolge von Monaten und Tagen, ein Dasein im Rausch. Ich war gereist, hatte studiert und gerade angefangen, als Reporterin beim Berliner Tagesspiegel zu arbeiten. In jener Zeit telefonierte ich oft mit meinen Großeltern, meist mit meiner Großmutter, da mein Großvater eine Abneigung gegen längere Telefongespräche hegt. Wir hielten uns auf dem Laufenden, über das Gegenwärtige. Was meine Großeltern tatsächlich bewegte, was ihr Leben ausmachte, über ihre Kämpfe der Vergangenheit erfuhr ich wenig. Damals dachte ich, wenn ich einmal Kinder hätte, wüsste ich gern mehr über meine Herkunft, über unsere Familie, über die Konflikte. Über zehn Jahre hinweg trafen wir uns immer wieder, unterbrochen von langen Pausen. Als 2008 meine Tochter Nora geboren wurde, brachen die Gespräche ab. Im Juli 2012 redete ich noch einmal mit meinem Großvater allein.
    Zu Beginn dachte ich nicht an eine Veröffentlichung, diese Idee entstand erst im Laufe der Jahre. Es war als privates Familienprojekt geplant. Später wurde mir bewusst, dass meine Fragen vermutlich Fragen sind, die viele Enkel an ihre Großeltern haben: Fragen an eine Generation, die den Krieg, die Flucht und zwei Diktaturen erlebt hat, an eine Generation, die es bald nicht mehr geben wird.
    Meine Fragen sind nicht objektiv und können es nicht sein. Ich frage als Enkelin, nicht als Journalistin. Ich bereitete die Gespräche auch nicht besonders vor, las zuvor keine Bücher, Artikel oder Interviews, aus denen ich schlau hätte zitieren können. Es sollte privat bleiben. Tatsächlich hatte ich nicht jeden Schritt meiner Großeltern genau verfolgt, hatte nicht jedes ihrer Bücher studiert, und wir waren nicht immer einer Meinung. Manche Themen streiften wir nur oberflächlich, manche gar nicht, andere besprachen wir ausführlicher und mehrmals. Gespräche sind selten vollkommen, aber sie können ein Bild geben, einen Eindruck vermitteln.
    Über die Jahre entsteht aus meinen Fragen ein Dialog der Generationen – auch wenn es auffällt, dass meine Großeltern weniger von mir wissen wollen als ich von ihnen. Ein bisschen liegt das in ihrem Verdacht begründet, meine Generation sei unpolitisch und somit nicht sehr interessant. Während sie sich ihr Leben
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