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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Kreuz, ging dann zu einer Bank in dem Bereich, der für den Abschlussjahrgang reserviert war, kniete sich hin und begann zu beten. Er flehte den Herrn um Gnade und Vergebung an, betete für die Seelen aller, die er liebte, und dafür, dass Christus so gnädig sein würde, Julie am Leben zu erhalten.
    »Alex?«
    Er wandte sich um und sah, dass Schwester Rita in der Tür stand.
    »Bist du das wirklich, Alex? Ich dachte, ihr wärt längst weg, du und deine Schwestern.«
    Einen Moment lang war Alex verwirrt. Dann fiel ihm die Nachricht ein, die er Pater Mulrooney hinterlassen hatte, um ihm mitzuteilen, dass sie die Stadt verlassen hatten.
    »Nein«, sagte er. »Das hat nicht geklappt.«
    »Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte Schwester Rita. »Wie geht es Briana und Julie?«
    »Bri ist tot«, sagte Alex. »Und unsere Kirche ist geschlossen worden. Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte.«
    »Bri?«, fragte Schwester Rita. »Ach, Alex, das tut mir so leid. Ich hatte sie in der achten Klasse im Englischkurs. Sie war so ein liebes Mädchen.«
    Alex sah Bri in der achten Klasse vor sich, brachte aber kein Wort heraus.
    »Aber Julie geht es gut?«, fragte Schwester Rita.
    Alex nickte.
    »Gott sei Dank«, sagte Schwester Rita. »Komm mit, Alex. Wir sprechen mit Pater Mulrooney.«
    Alex folgte ihr aus der Kapelle und zu Pater Mulrooneys Büro. Der Priester saß an seinem Schreibtisch und betete leise. Sie warteten, bis er fertig war; dann klopfte Schwester Rita an die geöffnete Tür, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
    »Mr Morales?«, sagte Pater Mulrooney. »Wir dachten, Sie wären längst fort.«
    »Ich weiß«, sagte Alex. »Wir haben es auch versucht, aber wegen der Quarantäne konnte der Konvoi nicht fahren.«
    »Wie geht es Ihren Schwestern?«, fragte Pater Mulrooney.
    »Julie geht’s gut«, sagte Alex. »Aber Bri ist gestorben, und ich bin daran schuld.«
    »Setz dich«, sagte Pater Mulrooney. »Wieso glaubst du, für den Tod deiner Schwester verantwortlich zu sein, Alex?«
    Und Alex erzählte ihnen die ganze Geschichte. Er erinnerte sich daran, wie er Pater Mulrooney gebeten hatte, ihm die Beichte abzunehmen, weil er das Gefühl hatte, Pater Franco wäre vielleicht zu nachsichtig mit ihm. Er wusste, dass es keine Buße gab, die ihm seine Schuldgefühle nehmen konnte, aber das war ihm egal. Es war besser, wenn Pater Mulrooney und Schwester Rita erkannten, wie unzulänglich er war. Vielleicht wäre ihr Mitleid für Julie dann umso größer.
    Als er fertig war, räusperte sich Pater Mulrooney.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, hob er an.
    »Vielleicht darf ich etwas sagen?«, warf Schwester Rita ein. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Pater?«
    »Aber bitte«, erwiderte Pater Mulrooney.
    Schwester Rita wandte sich Alex zu. Er hatte fast schon vergessen, was für gütige Augen sie hatte. »Ich weiß, dass du dich für Brianas Tod verantwortlich fühlst«, sagte sie. »Du glaubst, du hättest dich früher mit dem Tod deiner Eltern abfinden sollen und Bri dazu zwingen sollen, das auch zu tun. Wenn du das getan hättest, wäre sie nicht so unvernünftig gewesen und könnte noch am Leben sein. Habe ich das richtig verstanden?«
    Alex unterdrückte ein Schluchzen und nickte.
    »Aber meiner Meinung nach war es genau dieser Glaube, der Bri überhaupt so lange am Leben erhalten hat«, sagte Schwester Rita. »Ohne diesen Glauben wären all die Opfer, die du für sie gebracht hast, all deine Sorge und dein Schutz nicht genug gewesen. Bri musste daran glauben, dass eure Eltern zurückkommen würden. Und du hast sie genug geliebt und respektiert, um ihr diese Hoffnung nicht zu nehmen und auch dir selber nicht. Wenn sie gemerkt hätte, dass du resignierst, hätte sie vielleicht auch resigniert, und das hätte sie nicht überlebt.«
    »Aber wäre das wirklich so schlimm gewesen?«, fragte Alex. »Sie hat in den letzten Monaten so sehr gelitten.«
    »Immerhin hat sie dich gesund gepflegt«, erwiderte Schwester Rita. »Das hätte Julie allein nie geschafft. Du hast ihr dein Leben zu verdanken.« Sie nahm Alex’ Hand und hielt sie zwischen ihren beiden Händen fest. »Sie hatte Glück, einen Bruder wie dich zu haben«, sagte sie. »Bri wusste das, und du solltest das auch wissen.«
    Er konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Er schämte sich dafür, aber die Tränen wollten einfach kein Ende nehmen.
    »Jetzt ist es genug«, sagte Pater Mulrooney schließlich. »Ich nehme an, dass Sie kein sauberes Taschentuch
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