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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst
Autoren: Anna Mitgutsch
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I
    Ein Tag im April
    Wir hatten ein Haus am Charles River und einen Anteil an einem Sommerhaus auf Cape Cod. Wir waren in einem Abschnitt unseres Lebens, in dem die Jugend vorbei ist und das Alter noch nicht bedrohlich erscheint. Jetzt haben wir nichts mehr, was uns gemeinsam gehört, nur noch eine Bank im Public Garden. Bevor ich Boston endgültig verließ, beschloß ich, daß sie der Ort unserer künftigen Verabredungen sei. Wenn man von der Arlington Street den Park betritt, ist es die erste Bank auf dem Weg rund um den Swan Pond, die einzige ohne Lehne, und wenn ich auf ihr sitze, macht meine Vernunft dem magischen Glauben Platz, daß er zurückkommt, wenn die Kraft meines Wünschens nur stark genug ist. Dann schrumpft die ganze Stadt auf diese eine Bank zwischen den Weiden am Ende des Teichs, und ich sitze wie in einem Raum, der von einer anderen, dünneren Luft erfüllt ist, und bin in meiner Verlassenheit geborgen, als wäre ich der einzige Mensch auf diesem Planeten, und er säße so dicht neben mir, daß ich seine Nähe spüre. Hier gibt es keine Erinnerungen an Zwist und Verrat, hier sind nur die letzten kostbaren Stunden bewahrt, die wir zusammen hatten.
    An unserem letzten Sonntag, dem letzten Tag im April, waren wir zum Brunch in Downtown Boston eingeladen. Wir saßen mit unserem Freund Philip und seiner um vierzig Jahre jüngeren Geliebten im ersten Stock des Four Seasons in einer
Fensternische, und gegenüber, im Public Garden, waren die Bäume voller Knospen kurz vor dem Aufspringen. Wir saßen lange dort und redeten über alles mögliche, das ich vergessen habe, auch den Witz über den Tod, den Jerome machte, habe ich vergessen. Er machte ständig makabre, bittere Scherze über den Tod. Aber ich habe nicht vergessen, daß nur das junge Mädchen darüber lachte. Hast du es auch bemerkt, fragte er mich beim Fortgehen, sie ist die einzige von uns, die sich noch sicher genug fühlt, daß sie über den Tod lachen kann.
    Auf dem Weg zum Auto war ihm nicht wohl. Er stand eine Weile an eine Hauswand gelehnt, damit die Übelkeit vergehe, und rang nach Luft. Und ich neckte ihn wegen der vielen Hummerscheren, die er geknackt hatte, und was er wohl einer jungen Geliebten, wie Philip sie hatte, sagen würde, wenn er so hinfällig an einer Mauer lehnte, um das üppige Frühstück zu verdauen. Dann wechselten wir zum Park hinüber, langsam, Schritt für Schritt, auf seine Atemnot bedacht, ich ging neben ihm wie neben einem Rekonvaleszenten im Spitalsgarten und dachte an das Alterwerden, das vor uns lag, aber es erschreckte mich nicht an diesem Frühlingstag, an dem das Grün hell und jung war, die Magnolien entlang der Commonwealth Avenue und die Hartriegelsträucher an den Backsteinfassaden blühten und die Sonne auf dem Teich glitzerte.
    Wir setzten uns auf die Bank und schauten zu, wie ein Schwanenboot voller Kinder ablegte und auf seinem großen Bogen über den Teich auf unser Ufer zuhielt. An unser Gespräch erinnere ich mich noch genau. Wir redeten über den Anfang unserer Ehe und was uns im Lauf der Zeit verloren gegangen war, wir erinnerten uns an Reisen und die Wochenendausflüge an den Walden Pond, als ich mit Ilana schwanger war, und an die Celebrity Series in der Symphony Hall, die wir damals abonniert
hatten. Wir erinnerten uns an einen Klavierabend von Vladimir Horowitz in den siebziger Jahren und an eines der letzten Konzerte von Jacqueline du Pre und dachten zum zweitenmal an diesem Vormittag an den Tod. Wie schon seit langem nicht mehr machten wir Pläne. Wir nahmen uns vor, wieder regelmäßig Konzerte zu besuchen und im Sommer diesmal nicht nach Cape Cod zu fahren, sondern die drei Wochen im August im Acadia National Park in Maine zu verbringen. Er und Ilana waren einmal dort gewesen, als sie am Bard College studierte. Er hatte sie auf halbem Weg abgeholt, und sie waren nach Maine gefahren, nur er und sie. Es sei die schönste Reise seiner letzten zwanzig Jahre gewesen, sagte er oft.
    Vorsichtig, zwischen den Sätzen, zeichnete sich ein neues Leben ab, wie das hauchzarte Gewebe eines leuchtenden Altweibersommers, ohne die Forderungen und Ausweichmanöver, die Ungewißheiten und das Warten auf später wie bisher. Du wirst sehen, sagte Jerome, es kann alles wieder so werden wie früher. Er redete, als hätten wir unendlich viel Zeit für einen Neubeginn. Ich wollte noch nichts mit allzu deutlichen Worten berühren, damit das Gespinst nicht, wie schon oft zuvor, unter dem Gewicht vergangener
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