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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst
Autoren: Anna Mitgutsch
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provisorischen Baracke, die der Flughafen von Lod damals noch war, lange bevor er Ben Gurion-Airport hieß. Jerome schrieb mir die Adresse des Kibbuz auf, in dem er einen Sommer lang als Volontär arbeiten würde. Dort würde er sich verlieben, aber das ahnte er noch nicht, und obwohl diese Liebe nicht von Dauer sein würde, sollte sie eine lebenslange Sehnsucht hinterlassen.
    Just in case, sagte er und drückte mir den Zettel in die Hand: Wenn Sie etwas brauchen.
    Im Unterschied zu Gary, dem ich mich aufdrängte, vergeblich, wie sich bald herausstellen sollte, strahlte Jerome eine unerschütterliche Verläßlichkeit aus. Ich wäre gern ein wenig länger in seinem Schutz weitergegangen, als wir unvermittelt in die blendende Hitze eines israelischen Juninachmittags hinaustraten. Ich schrieb ihm meine Adresse in Yorkshire auf: Für den Fall, daß Sie in nächster Zeit wieder einmal nach England kommen.
    Ein unwahrscheinlicher Fall, sagte er und lachte, aber er nahm den Zettel.
    War es Liebe auf den ersten Blick? hatte Ilana ihren Vater einmal gefragt. Auf den zweiten, hatte er diplomatisch geantwortet. Auf mich wirkte er wie der große Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte, von dem man sich mit einem freundschaftlichen Klaps verabschiedet, ohne sich fragen zu müssen, ob er danach noch an einen denkt.

    Noch bevor wir einander liebten, waren wir einander wie Geschwister vertraut.
    Wo wollen Sie jetzt hin? fragte er.
    Zum Busbahnhof, sagte ich.
    Werden Sie das schaffen, ganz allein?
    Klar, prahlte ich. Sie haben keine Ahnung, wo ich schon überall war.
    Na dann, viel Glück! Er ließ mich stehen und stieg in den Kibbuz-Jeep, der auf ihn wartete. Aber aus dem Fenster des anfahrenden Autos winkte er mir noch einmal zu.
    Der Anfang unserer Liebe war noch Jahre entfernt, Liebschaften und Trennungen von Männern, an die ich mich nur mehr undeutlich erinnere, liegen dazwischen. Es war eine flüchtige Bekanntschaft im Flugzeug, wie man sie ständig macht, wenn man jung und neugierig ist.
    Es ist Schabbat und das El Al-Flugzeug wird heute am Boden bleiben. Will Jerome mich mit dem Anblick trösten, frage ich mich, will das Unheimliche, das in mein Leben eingebrochen ist, mir bedeuten, daß alles, was damals begonnen hatte, nun zu Ende gegangen ist? Es ist ein Zufall, sage ich, es gibt keine Botschaft.

    Der Ausläufer eines Hurrikans fegt über Massachusetts hinweg und verzögert die Landung. Warum kribbelt diese Ungeduld anzukommen in mir, so als dürfe ich Jerome nicht warten lassen? Seine Gegenwart füllt mich so vollkommen aus, als flöge ich zu unserer Hochzeit. Aber nicht an unsere eigene Hochzeit erinnere ich mich, sondern mir fällt die junge Frau ein, neben der ich bei meinem ersten Flug nach Amerika
saß. Sie war neunzehn und flog zu ihrem Verlobten nach Texas. Den ganzen Raum zu ihren Füßen nahm ein großes, altmodisches Radio ein, ein glänzender brauner Kasten mit Stoffbespannung und einer Reihe gelblicher Tasten. Mit diesem Ungetüm war sie auf Shannon Island in das Flugzeug der Air Icelandic umgestiegen, und in New York würde sie noch einmal umsteigen. In Texas würde sie draufkommen, daß das Radio mit einer anderen Netzspannung nicht funktionierte. Was wohl aus ihr geworden ist, denke ich flüchtig, auch sie ist inzwischen sechzig. Meine Gedanken springen nervös hin und her und lassen sich auf nichts ein, ein wilder Schwarm in meinem Kopf.
    Ilana und Jeromes Bruder Harold holen mich ab, wir umarmen uns schweigend, tränenlos, geschlagen, wie nach einem verlorenen Kampf Ein Regenguß nach dem anderen stürzt vom Himmel, und es ist kalt. Wir fahren durch eine sich in Nebel und Regen auflösende Landschaft zu einem leeren Haus. Der Schwager redet von Vorbereitungen, in weniger als vierundzwanzig Stunden wird ein Begräbnis stattfinden, es klingt wie ein briefing, die zusammengefaßten Informationen zu einer bevorstehenden Konferenz, und mein Kopf nimmt die Einzelheiten nicht auf, sie gehen im Rauschen des überfluteten Highway unter. Wenigstens für Ilana sollte ich die richtigen Worte finden, aber ich habe eine unerklärliche Scheu vor ihr. Sie sitzt schweigend auf dem Rücksitz und hat ihre Hand auf meine Schulter gelegt. Gut, daß du da bist, sage ich, und halte die Hand fest, die noch immer zart und glatt wie eine Mädchenhand ist. Ihr Verlust ist der größte, denn sie stand Jerome am nächsten, von klein auf. Die Anhänglichkeit war gegenseitig und von keiner Krise, keinem Zweifel und keinem Verrat
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