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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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jetzt wusste er nicht einmal, ob er überhaupt je wieder aufstehen konnte.
    Aber dann ließ er sich doch noch einmal auf alle viere nieder und kroch zur Schlafzimmertür. Es war unvorstellbar, dass Bri oder Julie ihm einen solchen Streich spielen würden, aber er musste sich trotzdem mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Bri nicht mehr da war.
    Das Schlafzimmer war leer.
    »Bri?«, rief er. Vielleicht hatte sie sich ja im Schrank versteckt? Aber niemand antwortete.
    Er versuchte, zum Sofa zurückzukriechen, aber das war meilenweit entfernt. Er erinnerte sich an irgendetwas mit lächelnden Gesichtern, dann sackte er bewusstlos zusammen.
    Samstag, 24 . Dezember
    »Na los, Alex! Ich will auch noch mal ins Bad!«
    Alex schreckte aus dem Schlaf hoch. Aber Bris Stimme war nicht wirklich gewesen. Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Dann sah er Julie, die im Wohnzimmersessel schlief, und alles fiel ihm wieder ein. Apartment 12 B . Mamá und Papá seit sieben Monaten verschwunden, Bri seit zwei Tagen.
    Er schaute seine kleine Schwester an und versuchte, ihr die Schuld an allem zu geben, aber es gelang ihm nicht. Sieben Monate lang hatte er versucht, Bri von ihrer fixen Idee abzubringen, ihre Eltern könnten jeden Moment wieder nach Hause kommen. Wie konnte er da von Julie erwarten, dass sie Bri davon abhielt, zur Kirche zu gehen, wenn die sich das in den Kopf gesetzt hatte?
    Julie hatte ihn auf dem Boden des Schlafzimmers gefunden. Irgendwie war es ihr gelungen, ihm etwas Nahrung einzuflößen, und mit ihrer Hilfe hatte er es dann bis zum Sofa zurück geschafft. Er hatte eigentlich rausgehen wollen, um Bri zu suchen, aber er konnte keine drei Meter laufen, ohne zusammenzubrechen. Und das Letzte, was Julie gebrauchen konnte, war, dass er irgendwo im vierten Stock im Treppenhaus liegenblieb.
    Immerhin fühlte er sich heute schon deutlich besser, besser als seit Tagen. Vorsichtig stand er auf und stellte erfreut fest, dass ihm nicht schwindelig wurde. Die Küche lag nicht mehr endlos weit entfernt und er erreichte sie ohne Zwischenfall. Er trank ein bisschen Wasser, nahm sicherheitshalber noch ein Aspirin und machte sich eine Dose rote Bohnen auf. Nach der Anzahl der Dosen zu urteilen, die noch übrig waren, hatten die Mädchen in der letzten Woche auch nicht viel mehr gegessen als er.
    Seit zwei Tagen war Bri jetzt schon verschwunden, und was hatte er getan, außer zu schlafen? Hatte er wenigstens für ihre Rückkehr gebetet? Er konnte sich nicht erinnern.
    »Himmlischer Vater, behüte sie«, flüsterte er. Es war das einzige Gebet, das ihm einfiel und das Gott vielleicht von ihm akzeptieren würde.
    Er ging zum Sofa zurück und versuchte nachzudenken. Bri war vor zwei Tagen zur Kirche gegangen. Im Treppenhaus hatte Julie sie nicht gefunden, das war das Einzige, was er wusste. Er rieb sich die Stirn. Wenn sie nicht im Treppenhaus war, wo war sie dann?
    Vielleicht noch in der Kirche? Angenommen, sie war dort angekommen und so lange geblieben, bis es dunkel wurde, und Pater Franco hatte ihr angeboten, über Nacht zu bleiben? Der Gedanke gefiel Alex, auch wenn er sich fragte, warum Pater Franco sie dann nicht am nächsten Tag nach Hause geschickt hatte.
    Aber am nächsten Tag hatte es keinen Strom gegeben. Vielleicht hatte Pater Franco ihr geraten, so lange in der Kirche zu bleiben, bis es wieder Strom gab, damit sie mit dem Aufzug in den zwölften Stock fahren konnte. Dann war sie vielleicht gesund und munter, vielleicht ging es ihr sogar besser als hier, denn die Kirche wurde immer noch geheizt, jedenfalls war das so, als Alex das letzte Mal dort gewesen war, vor dem Schneesturm. Solange Pater Franco etwas zu essen hatte, würde er Bri bestimmt davon abgeben. Und ihren Inhalator hatte sie auch dabei, von daher wäre sie in St. Margaret’s genauso gut aufgehoben wie zu Hause.
    Und es wäre doch auch ganz leicht herauszufinden, ob sie in der Kirche war. Er brauchte nur hinzulaufen. Er malte sich aus, was für ein Gesicht Julie machen würde, wenn er mit Bri zusammen durch die Tür kam. Das wäre doch mal ein Weihnachtsgeschenk.
    Alex beschloss, ein bisschen laufen zu üben. Er schlurfte vom Sofa aus ins Schlafzimmer und wieder zurück in die Küche. Er aß zwei weitere Löffel gefrorene rote Bohnen und lief wieder zurück ins Schlafzimmer. Kein Schwindelgefühl. Ein bisschen geschwächt, das schon, aber das war auch nicht anders zu erwarten. Er hatte ja keine Eile. Solange Bri in der Kirche war, war sie bestens
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