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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens
Autoren: Catherine Deveney
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Arbeit nach Hause käme. Es war besser, die beiden nicht zusammenzubringen. Doch bereits um zwei Uhr lüge ich ihr vor, ich würde kurzfristig für jemanden einspringen und heute Nachmittag ein paar Stunden im Wohlfahrtsladen aushelfen müssen. Sie protestiert nicht. Ohne ungehinderten Zugriff auf die Flasche wäre ihr der Nachmittag ohnehin lang erschienen. Sie nimmt ihre Tasche und schlägt damit prompt gegen das Stuhlbein. Ihre Bluse hat auf der Vorderseite dunkle Flecken, von dem Rührei und dem Saft der Himbeeren.
    Ich bestehe darauf, sie die Treppe hoch bis in ihre Wohnung zu begleiten. Ich schätze, wenn ich es durchhalten könnte, wenn ich zumindest so aufmerksam ihr gegenüber wäre, wie ich es eigentlich sein will, dann wären meine Schuldgefühle nicht so groß. Die Fenster in der Wohnung sind alle geschlossen, und als ich die Tür aufsperre, kommt mir ein Schwall abgestandener Luft entgegen, ein Geruch nach überheizten Zimmern, toten Fliegen und Schnaps. Toby, ihr Kater, rast wie ein Irrer an uns vorbei nach draußen, kaum dass die Tür offen ist. Wer könnte es ihm verdenken? Ein Hauch frische Luft würde jedem, der hier eingesperrt wäre, zu Kopf steigen. Lily knickt um, als er im Flur an ihr vorbeizischt, und greift Halt suchend mit der Hand an die Wand.
    »Jetzt komme ich schon allein zurecht, Carol Ann«, sagt sie. »Geh nur in deinen Laden.«
    »Ich hab noch genug Zeit, um dir eine Tasse Tee zu machen, Mum«, sage ich mit munterer Stimme.
    Wenn mein schlechtes Gewissen allzu drückend wird, nenne ich sie Mum. In Gedanken sage ich Lily zu ihr. Manchmal, wenn ich nicht daran denke, rede ich sie sogar mit ihrem Vornamen an.
    »Nun geh schon«, sagt sie. »Ich will keinen Tee.«
    »Bist du sicher?«
    Sie wedelt mit den Händen, als wollte sie mich wegscheuchen, aber antwortet nicht auf meine Frage. Es macht mir Angst, dass sie weiß, wie sehr ich mich danach sehne, aus dieser Wohnung wegzukommen, deshalb gehe ich ins Wohnzimmer und öffne ein Fenster.
    »Hier muss dringend mal gelüftet werden«, verkünde ich.
    Lily stellt sich ans Fenster.
    »Ich winke dir noch nach«, sagt sie. »Jetzt geh.«
    »Ich ruf dich morgen an.«
    Unten angekommen mache ich die Autotür auf, während ich zu ihr hochschaue und betont fröhlich winke. Eingerahmt von dem Fenster wirkt Lily winzig. Ihre Haarmähne sieht immer wild und zerzaust aus, wirr nach hinten gekämmt, wie die Frisur eines irren alten Weibes. Lily ist ein irres altes Weib. Was Kosmetik und Schönheitspflege angeht, hält sie weiter an ihren alten Gepflogenheiten fest, kann sie jedoch inzwischen nicht mehr oder nicht mehr erfolgreich ausführen. Selbst von der Straße aus erkenne ich, wie viel zu dick ihr knallroter Lippenstift aufgetragen ist, wie ein kleines Mädchen beim ersten Versuch. Während ich die Zündung einschalte, hebt sie den Arm, um mir zum Abschied zu winken, und bewegt dabei die Hand ganz konzentriert, geradezu feierlich, als wäre Winken etwas höchst Bedeutsames. Ich schalte den Blinker ein, dessen rhythmisches Signal mich an das Pendel meines schlechten Gewissens erinnert, und öffne das Fenster, um zurückzuwinken, während ich mich in den Verkehr einordne. Ein Stich geht mir durchs Herz, als hätte ich gerade mein Kind zurückgelassen und nicht meine Mutter.
    Die strahlende Sonne wirft einen Balken von Licht durch das Panoramafenster auf den Fernseher und lässt die tanzenden Staubpartikel aussehen wie Wasserstrudel in einem Fluss. Ich ziehe den Vorhang ein Stück vor, um das Sonnenlicht abzuschirmen, und lausche der monotonen Stimme des Kommentators.
    » Und das ist Paris Rose, die jetzt auf der Innenbahn in rasantem Tempo nach vorne kommt … Paris Rose sieht ganz so aus, als würde sie heute Nachmittag für Furore sorgen. Terry’s Girl liegt weit, weit abgeschlagen hinten, der erklärte Favorit zeigt sich heute Nachmittag hier in Haydock in unerwartet schlechter Form. Paris Rose zieht vorbei … «
    »Schneller«, flüstere ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Schneller, Paris Rose.«
    Die Stimme des Kommentators überschlägt sich vor Aufregung.
    » Paris Rose nähert sich nun mit überlegenem Vorsprung dem Ziel, gefolgt von Red Demon auf dem zweiten Platz und Flapjack, der sich nun auf den dritten Platz vorkämpft. Doch was ist das für ein spektakulärer ENDSPURT , den Flapjack nun hinlegt … Flapjack ist bereits Kopf an Kopf mit Red Demon …
    » KOMM SCHON !«
    » … Flapjack ist jetzt auf Platz zwei und bedrängt bereits
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