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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens
Autoren: Catherine Deveney
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erst Viertel nach elf Uhr war. Ich merkte es an dem Geruch. Er haftete an ihr wie Modergeruch an einem alten Haus.
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich mit geschlossenen Augen.
    »Nein … nun ja … wie solltest du auch?«, versetzte sie mürrisch. »Weil es nämlich keinen Unterschied gibt.«
    »Kann schon sein.«
    » Ganz sicher nicht, Carol Ann. Irgend so ein blöder Werbefritze hat sich das ausgedacht.«
    »Oder eine Frau.«
    »Eine Frau wüsste, dass es so etwas wie eine Pariser Rose nicht gibt.«
    »Kann schon sein.«
    Plötzlich, ganz kurz nur, brannte die Sonne stärker vom Himmel, drang durch meine geschlossenen Lider, strahlte eine Hitze aus wie von einem Grill.
    »Carol Ann, würdest du bitte damit aufhören, ständig ›kann schon sein‹ zu sagen«, schnauzte Lily mich an.
    »Entschuldige.«
    Ich denke, es ärgerte sie, dass ich die Augen nicht öffnete, aber ich hatte ein Gefühl, als hätte die Sonne sie mit ihrer Hitze verklebt. Ich hörte, wie Lily auf ihrer Gartenliege hin- und herrutschte.
    »Er ist gesplittert«, sagte sie unvermittelt.
    »Was ist?«
    »Und die Farbe gefällt mir sowieso nicht. Zu grell. Ich mag eher neutrale Töne.«
    Ich öffnete ein Auge und hob meine Hand, um die Nägel zu inspizieren. An den oberen Rändern war der rosafarbene Lack an mehreren Stellen abgesplittert.
    »Du hast recht«, erwiderte ich. »Der Lack ist abgesplittert.«
    »Sieht ziemlich ordinär aus«, murmelte sie.
    Daraufhin ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, ließ sie an einen Ort schweifen, wo Lily mich nicht erreichen konnte, und malte mir genüsslich aus, wie es wäre fortzugehen. Ich hatte es mir so viele Male vorgestellt, dass ich das Gefühl hatte, einen Lieblingsroman in der Hand zu haben, den ich nun schon so oft gelesen hatte, dass ich den Text fast auswendig konnte. Das heißt, das erste Kapitel hatte ich immer wieder gelesen. Jenes, das vom Aufbrechen handelte. Wie es weiterging, darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht, weil es jenseits meiner Vorstellungskraft lag. Ich malte mir immer nur das Gehen an sich aus, fort von meinem Haus und weiter, über die Brücke, dann vorbei an dem kleinen Weiher, an dem ich meine Spaziergänge zu machen pflegte. Ich hörte, wie meine Absätze rhythmisch auf den Asphalt klopften, roch den Duft von frisch gemähtem Gras, der die Luft erfüllte. Und jedes Mal, trotz der hundertsten und aberhundertsten Wiederholung, entdeckte ich bei diesem imaginären Fortgehen immer wieder etwas Neues, Überraschendes, ein winziges Detail, auf das ich bis dahin nicht gestoßen war und das mir Freude bereitete.
    »Carol Ann«, drang Lilys Stimme an mein Ohr. »Sei doch so lieb und geh ins Haus und hol mir meine Taschentücher. Ich glaube, ich habe sie in der Küche liegen lassen.« Sie schniefte theatralisch, und ich bedachte sie mit einem zynischen Blick, wohl wissend um das Spielchen zwischen uns beiden, das nun schon so lange andauerte wie mein Leben.
    »Da sind sie doch«, erwiderte ich, »da, im Außenfach deiner Handtasche«, und deutete mit dem Kopf auf das Fußteil ihrer Liege. Dort lagen eine dünne Stofftasche, in der sie ihre Mitbringsel, diverse Süßigkeiten, verstaut hatte, und eine quadratische Handtasche aus schwarzem Kunstleder. Lily gab ihr Geld nicht für teure Lederhandtaschen aus. Sie hatte schließlich regelmäßige Auslagen, was ihre Versorgung mit Gordon’s Gin betraf.
    »Ach, richtig.« Lily, die auf ihrer Liege ein Stück nach unten gerutscht war, schob jetzt ihr Gesäß höher und setzte sich aufrecht hin. Doch statt nach den Taschentüchern griff sie nach ihrem Glas.
    »Hast du Eiswürfel?«
    »Drinnen im Haus.«
    »Wäre es vielleicht zu viel verlangt?« Ein leicht gereizter Ton hatte sich in ihre Stimme geschlichen.
    Ich legte die Hand über die Stirn, um die Sonne abzuschirmen und schaute meine Mutter aus zusammengekniffenen Augen an.
    »Mutter«, sagte ich mit untypisch fester Stimme, »du willst, dass ich reingehe, damit du die kleine Flasche Gin, die sich in deiner Handtasche befindet, herausnehmen und in deine Limonade kippen kannst, ohne dass ich es sehe. Deshalb würde ich Folgendes vorschlagen. Wie wäre es, wenn ich einfach die Augen zumache. Siehst du, so? Dann brauche ich mir nicht die Mühe zu machen aufzustehen, und du kannst in Ruhe dein Glas auffüllen und so tun, als würdest du nur Limonade trinken. Und ich kann hier liegen bleiben und so tun, als hätte ich es nicht gesehen. Hm? Sollen wir das nicht in Zukunft so machen, wir
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