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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens
Autoren: Catherine Deveney
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muss. Natürlich benütze ich nicht unser Telefon im Haus. Ich muss darauf achten, dass die Nummer nicht in der Telefonrechnung erscheint. Nicht dass Alex sich um solche Dinge kümmern würde, aber sicher ist sicher. Man darf kein Risiko eingehen, auch wenn es noch so klein ist. Ich habe bis jetzt noch nie mehr als einen Zehner gewonnen, und insgesamt gesehen mehr verspielt als gewonnen – das ist bei jedem so, der wettet. Aber heute habe ich, einer plötzlichen verrückten Eingebung folgend, zwanzig Pfund gesetzt. Keine Ahnung, warum. Als ich den Hörer auflegte, war mir sogar regelrecht schlecht, weil ich das Gefühl hatte, mein Geld leichtsinnig zum Fenster hinauszuwerfen. Auf diese Weise würde ich es nie schaffen, von zu Hause wegzukommen. Doch jetzt sitze ich hier und starre ungläubig auf den Wettschein in meiner Hand. Ein Triple: Dream Time 11-1; Forbidden Fruit 5-2; Paris Rose 33-1. Oh, Paris Rose, du bist wunderbar! Ich hole den Taschenrechner meines Sohnes Stevie. 28.560 Pfund.
    Es vergeht nur ein einziger Pulsschlag zwischen Triumph und dem Klingeln des Telefons, zwischen Euphorie und dem Hereinbrechen einer Katastrophe. Ich bin noch so überwältigt, dass der schrille hartnäckige Klingelton kaum in mein Bewusstsein dringt. Dennoch hebe ich schließlich automatisch den Hörer ab, vielleicht war es mein sechster Sinn, vielleicht, weil Lily mir auf irgendeine Weise eine Botschaft übermittelt hat. Ich glaube an solche Dinge: dass es eine Art der Kommunikation gibt, die keiner Worte bedarf. Obwohl, wenn ich mir Alex und mich vorstelle, muss ich sagen, dass ein paar Worte schon hilfreich wären. Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir überhaupt noch dieselbe Sprache sprechen. Er zeigt so wenig Reaktion, dass ich mich manchmal frage, ob ich vielleicht Suaheli spreche.
    »Hallo? Ja. Ja, ich bin die Tochter von Lily Matheson.«
    Die Worte, die nun folgen, ergeben keinen Sinn und gleichzeitig versetzen sie mich in einen Schock. Ganz allmählich erst treten aus dem ganzen Chaos ein paar einzelne Wörter hervor, sie dringen, wie scharfkantiges Eis, messerscharf und präzise, zu meinem Bewusstsein vor. Lily. Krankenhaus. Und dann, mitten in dem ganzen Wirrwarr, trifft mich ein einziges Wort wie eine Dolchspitze mitten ins Herz und nagelt mein Leben auf dem Fußboden fest: Schlaganfall.

2. Kapitel
    Carol Ann
    W ie sie so daliegt in ihrem weiß bezogenen Klinikbett, wirkt Lily klein und verhutzelt. Ihre Augen sind geschlossen, als ich das Zimmer betrete. Ich setze mich an ihr Bett, nehme behutsam ihre Hand, die auf der Zudecke liegt, und umschließe sie mit meinen beiden Händen. Ihre Haut fühlt sich trocken und zerknittert an, wie altes Pergament. Die Muskeln der linken Gesichtshälfte sind erschlafft, der linke Mundwinkel hängt nach unten, wie bei dem traurigen Clown in einer Kinderzeichnung. Speichel sammelt sich in der Falte, die sich zwischen Mund und Kinn gebildet hat.
    Die Stille wird nur unterbrochen von ihren kaum hörbaren Atemzügen, ein stetiges Heben und Senken, und von der gedämpften Geräuschkulisse aus Stimmen, den Rädern der Essenstrolleys und von einem gelegentlichen plötzlichen Gelächter, das, Welten entfernt, durch geschlossene Türen dringt. Der Rhythmus ihrer Atmung ist leise und schwach, als würde ein Musikstück zum Ende hin langsam ausklingen.
    Lily trägt ein blassblaues Krankenhausnachthemd mit weitem Halsausschnitt; ihre Schlüsselbeine treten deutlich hervor, wie Grate. Wenn man sie jetzt so ansieht, möchte man es nicht glauben. Kann man es sich nicht vorstellen. Wie schön sie einmal war. Als Kind machte ich immer heimlich ihren Schrank auf und schnüffelte an ihren Kleidern, setzte mich zwischen ihre Schuhe, nahm sie einfach in die Hand und betrachtete sie. Einmal, ich war damals etwa vier, hatte sie mich gefunden, wie ich in ihrem offenen Schrank hockte, den Mund mit ihrem Lippenstift verschmiert, an meinen kleinen Kinderfüßen ihre riesigen herrlichen allerbesten Lacklederschuhe. Es ist meine früheste und glücklichste Kindheitserinnerung. Auf dem Kopf hatte ich ihren schwarzen Strohhut mit der breiten Krempe, und zu meinen Füßen lagen die leere gestreifte Hutschachtel und Ballen aus zusammengeknülltem rosafarbenem Seidenpapier. Sie hob mich hoch und lachte, hob mich hoch über ihren Kopf, bis ich nach Luft schnappte; die Sicherheit und Geborgenheit ihrer Mutterhände unter meinen Achseln, die unbekümmerte, fröhliche Zärtlichkeit ihres mütterlichen Kusses, den sie mir
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