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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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fragte, ob Papa wusste, was Issa vorhatte.
    Massimo stand mit dem Hut in der Hand vor mir. Er sah bedrückter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Wenigstens hatte er die Stimmung der Situation angepasst.
    »Caterina.« Ich bat ihn, halb in der offenen Tür stehend, ins Haus, und er ergriff meine Hand. Hinter ihm erkannte ich den Umriss eines Autos auf der Auffahrt und hörte Stimmen durch die warme Nacht schweben.
    »Wie ich höre«, sagte Massimo und verbeugte sich kurz, »darf man gratulieren. Ein Doktor?«
    Er sagte das so, als hätte ich gerade einen unglaublich großen Hirsch erlegt.
    »Ja.«
    »Dein Verlobter kann sich glücklich schätzen.«
    »Danke. Er ist in einer sehr gefährlichen Position. Als Offizier«, sagte ich. Ich hörte selbst, wie altjüngferlich ich plötzlich klang. »In der Marine.«
    Ich weiß nicht, warum ich das noch anfügte; wahrscheinlich, um hervorzuheben, dass Massimo nicht in der Marine und auch nicht in der Armee oder irgendwo sonst war, sondern nur in der Bergsteigergruppe. Und dass ihm daher keinerlei Gefahr drohte, außer vielleicht ein verknackster Knöchel.
    Falls er die Beleidigung wahrnahm, war er zu gut erzogen, um darauf zu reagieren. Stattdessen lächelte er wieder und sagte: »Indem er sich eine Frau nimmt, die so schön ist wie du, beweist er nicht nur guten Geschmack, sondern auch Tapferkeit.«
    Ich errötete und schämte mich, wie er dies mit Sicherheit beabsichtigt hatte. Und wie ich es wahrscheinlich verdient hatte.
    Massimo hatte helle Augen mit extravaganten Wimpern. Genau in diesem Moment zuckte sein Blick an mir vorbei und heftete sich über meiner Schulter auf Isabella, die eben die Treppe herunterkam.
    »Hallo«, sagte sie, und Massimos vor Sekunden noch so sprühender Charme verließ ihn. Sobald er sie sah, fehlten ihm die Worte.
    Issa schlüpfte in ihren Mantel, obwohl die Nacht warm war.
    »Es wird nicht spät«, erklärte sie mir ungefragt. Dann schlüpfte sie an Massimo vorbei, eilte die Stufen hinab, und im nächsten Augenblick waren beide weg.
    Als ich später beim Abtrocknen stand, flüsterte Emmelina mir zu, sie habe gehört, dass die Tore der städtischen Gefängnisse geöffnet worden seien. Räuber und Mörder, behauptete sie, würden die Straßen unsicher machen. Kriegsgefangene und weiß Gott wer noch. Nirgendwo, versicherte sie mir, gebe es noch ein Schloss oder auch nur eine Kette oder ein festes Seil zu kaufen. Alle Läden seien leer. Höchstwahrscheinlich bräuchten wir uns wegen der Deutschen keine Sorgen zu machen, weil wir längst mit durchgeschnittenem Hals im Bett liegen würden, bis sie einmarschierten. Sie hoffte, dass ich Türen und Fenster verriegelte. Als sie eine Stunde später nach Hause ging, sah ich die Spitze unseres Brotmessers zwischen den Falten ihres großen schwarzen Mantels hervorblitzen.
    Ich gab nicht allzu viel auf diese Geschichte – obwohl sie stimmte, wie sich später herausstellte –, hauptsächlich, weil Emmelina solche Gerüchte liebte. Sie hatte kurz nach Enricos achtem Geburtstag, als ich gerade fünf gewesen war, für uns zu arbeiten begonnen.
    Jeden Nachmittag hatte Emmelina uns von der Schule abgeholt und uns auf dem Heimweg mit irgendeiner düsteren Geschichte unterhalten, die sich gewöhnlich um einen Autounfall oder ein Eisenbahnunglück drehte. Ausschließlich Emmelina hatte meine aufgeschürften Knie verbunden, wenn Enrico mich wieder einmal umgeschubst hatte. Und sie hatte zahllose Stunden mit mir am Küchentisch gesessen, während ich ihr meine täglichen Abenteuer und Dramen geschildert hatte.
    Nachdem sie an diesem Abend nach Hause gegangen war, fühlte ich mich plötzlich verlassen. Papa war in seinem Arbeitszimmer. Ich wusste, dass ich ihn stören durfte, aber eigentlich hatte ich ihm nichts zu sagen. Und bestimmt bereitete er gerade eine Vorlesung vor. Also ging ich stattdessen nach oben, um nach Mama zu sehen. Die Tür zum Elternschlafzimmer war angelehnt, die Nachttischlampe brannte. Meine Mutter lag zusammengerollt auf dem Bett und schlief, das Bild von Enrico, das sie auf der Kommode stehen hatte, neben sich auf dem Kissen.
    Mamas Großvater hatte im Bergbau ein Vermögen gemacht. Dass sie meinen Vater geheiratet hatte, war als romantisches Zugeständnis an die Liebe betrachtet worden, aber eines, das sie sich leisten konnte. Wir hatten einen Gärtner, der zweimal wöchentlich kam, und einen Mann für das Auto. Als Rico, Issa und ich noch klein gewesen waren, hatte es obendrein ein
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